Dr. Florian Schulz, Dozent an der Universität St. Gallen
Exzellenz im Interview

Summa cum Handwerk

Dr. Florian Schulz ist Dozent an der Universität St. Gallen. Sie ist eine der renommiertesten Wirtschaftshochschulen Europas. Für den Organisationspsychologen ist Meisterschaft eine Form des Handwerks. Und Erstis können bessere Ideen haben als ein CEO.

Der Uni St. Gallen wird Exzellenz nachgesagt. Was verstehen Sie darunter?

Zunächst mal freut es mich, dass uns andere Exzellenz nachsagen. Problematisch finde ich, sich selbst als exzellent zu bezeichnen. Für mich sollte sich Exzellenz ausschließlich in den Augen anderer erweisen, nicht in der Selbstbetrachtung. Für die Selbstbeschreibung gibt es meines Erachtens bessere Begriffe.

Welche sind das in Ihren Augen?

Professionalität trifft es für mich eher. Auch Expertise. Haltung gehört für mich ebenfalls dazu. Eine gewisse Form der Meisterschaft, damit könnte ich mich auch anfreunden. Denn letztlich kommt es darauf an, sich immer wieder auf neue Situationen einzulassen und diese zu meistern. 

Was stört Sie am Begriff der Exzellenz?

Exzellenz suggeriert für mich einen statischen Zustand und blendet die Realität aus. Tatsache ist doch, dass man im Alltag immer wieder von Neuem nach den passendsten Lösungswegen suchen muss. Wer von sich behauptet, exzellent zu sein, verteidigt jedoch seinen Exzellenzstatus anstatt seine Energie auf die andersartige oder unkonventionelle Lösung zu konzentrieren. Das Einzigartige zu finden, wenn Sie so wollen.

Könnte man also sagen: Exzellenz heißt, zur Einzigartigkeit zu finden?

Ja, das finde ich passend. Wichtig wäre mir aber auch die Andersartigkeit des Gegenübers mitzubetrachten, das ist doch eine wichtige Kernkompetenz in der heutigen Arbeitswelt. Wenn wir das weiterdenken, stellt sich aber schnell die Frage: Wie schafft man das? Wichtiger ist dann meine Haltung, mit der ich an Personen und Situationen herantrete. Einerseits kann ich dem mit Neugier begegnen, andererseits muss ich aber genauso auch auf Routinen zurückgreifen können, die ich im wahrsten Sinn des Wortes einstudiert habe.

Was ist Ihnen an Routinen so wichtig?

Da sind wir beim Thema Wissen oder genauer: Was Wissen heute ausmacht, wie man es generiert, einsetzt und teilt. Unser Job als Universität ist es, Studierende zu befähigen. Dazu gehört auch, ihnen Methoden beizubringen, wie man von sich aus Wissen erlangt – um zu ganz eigenen Schlüssen zu kommen. Konkret: Wie man gut recherchiert, wie man Vorhandenes in neue Zusammenhänge setzt, aber auch, wie man jenseits der eigenen Fachsprache gegenüber einem breiteren Publikum kommuniziert und präsentiert. Routinen, Kreativ- oder Präsentationstechniken sind hier fast genauso wichtig wie Fachkompetenz. 

Wer Meister werden will, muss also sein Handwerk beherrschen...

Ja natürlich. Denn wer sein Handwerk beherrscht, gewinnt Zeit. Zeit, um zur außergewöhnlichen Lösung zu finden – und dies innerhalb immer komplexerer Kontexte. 

Hier ist es auch gut zu wissen, wo das eigene Wissen endet. Und wann es besser ist, den Austausch mit anderen zu suchen. Das Neue endet ja nicht in Wissenssilos, sondern darin, Wissen vernetzen. Darauf versuchen wir, unsere Studierenden mit Blick auf das spätere Berufsleben vorzubereiten.

Wie tun Sie das konkret?

Durch innovative Plattformen und Räume des Austauschs wie unseren SQUARE. Dort treffen Köpfe aus Wirtschaft, Politik und Kultur auf Studierende, Dozierende und Ehemalige, um Neues zu entwickeln. Das läuft komplett auf Augenhöhe. Jeder und jede kann hier seine Themen einbringen, um sie im offenen Dialog und auf experimenteller Ebene nach vorne zu bringen. Da kann ein Erstsemestler die bessere Idee haben als ein CEO. Genau darum geht’s doch, wenn wir über Exzellenz reden: um gegenseitige Inspiration. 

Florian Schulz, Universität St. Gallen
Bildquelle: prisma – Das HSG-Studierendenmagazin | Livia Eichenberger

Das bedeutet, sich unvoreingenommen und mit Neugier zu begegnen. Welche Soft Skills gehören zur Meisterschaft?

Es gibt kaum etwas Härteres als Soft Skills! Wenn ich nicht in der Lage bin, mein Wissen und meine Ideen zum Herbeiführen guter Entscheidungen zu vermitteln, werde ich im Zweifel scheitern – zumindest aber keine Wertschöpfung generieren. Wo es um immer komplexere, speziell auch technische Themen und Zusammenhänge geht, ist deshalb die Fähigkeit zur Oszillation gefragt, wie wir das in der Psychologie nennen. Man muss sich das wie eine Pendelbewegung zwischen Fach- und kommunikativer Ebene vorstellen. Permanent geht es darum, beides miteinander ins Lot zu bringen. So werde ich mit einer Fachkollegin anders sprechen als meinetwegen mit einem CEO oder Kunden. Umso mehr geht es darum, sich in das Gegenüber hineinzuversetzen: Mit wem spreche ich? Was erwartet er oder sie? Und wie muss ich mich auf die Person einstellen, um mein Wissen mit ihr mit welchem Ziel zu teilen? Dazu gehört neben einer gewissen sprachlichen Fähigkeit auch eine gute Portion Empathie. Oder schlicht eine gute Vorbereitung, womit wir wieder beim Thema Handwerk sind. 

Mit Exzellenz wird oft auch ein besonderes Talent verbunden. Was macht für Sie einen begabten Menschen aus?

Zunächst einmal glaube ich, dass jeder Mensch begabt ist. In jedem Fall jeder, der es schafft, durch ein Studium zu gehen. Wenn Sie mich persönlich fragen, heißt Begabung, im richtigen Moment die richtige Entscheidung zu treffen. Damit meine ich jetzt nicht zwangsläufig die großen Weichenstellungen in Beruf oder Leben. Das können auch situative Entscheidungen sein – wenn man in einer verfahrenen Situation durch einen Witz die Stimmung auflockert. Auch Humor ist eine Gabe! Genauso wie die Fähigkeit zur Analyse: Wer ein Gespräch gut zusammenfassen und Beteiligte hin zur gemeinsamen Entscheidung bringen kann, hat ebenfalls eine besondere Gabe. Talent oder Begabung ist also etwas höchst Individuelles und breit gefächert. 

Wie fördert die Uni St. Gallen Talente?

Indem wir eine Kultur schaffen, in der Studierende viel Feedback bekommen. Und noch wichtiger: in der sie verstehen, es für sich zu nutzen – ohne sich gleich angegriffen zu fühlen. Das hat auch mit der Fähigkeit zur Selbstreflexion, Resilienz und Selbstführung zu tun, weshalb wir in diesem Bereich viele Veranstaltungen, Kurse und Workshops anbieten. 

Ganz entscheidend ist aber auch eine Kultur der Augenhöhe zwischen Dozierenden und Studierenden. Unser Selbstverständnis ist es, gemeinsam etwas Neues zu erarbeiten und uns dafür als Autorität zurückzunehmen. Stattdessen schaffen wir viel Raum für den Austausch, für eigene Initiativen und Experimente, damit Studierende ihren individuellen Talenten und Interessen nachgehen können – und zwar in möglichst früher Verantwortung. 

Was geben Sie Studierenden mit auf den Weg ins Berufsleben? Welche Botschaft richten Sie an sie?

Dass man mit sich selbst verbunden bleiben soll. Damit meine ich, dass man nicht für die Wertschöpfung oder von der Anerkennung anderer lebt – jedenfalls nicht in erster Linie. Denn es gibt etwas Wichtigeres: Ich will es nicht Spaß nennen. Vielmehr sollte das, was ich im Job mache, mit meinen Werten und meiner Identität übereinstimmen – und sei es, dass es der Anspruch ist, sich immer weiter zu verbessern und neugierig zu bleiben. 
Es gibt nichts Fataleres, als zu glauben, man kann final etwas. Letztlich ist Neugier das, was einen befähigt, 40 Jahre im Beruf durchzustehen. 

Also geht es um eine lebenslange Veränderungsbereitschaft?

Gegenfrage: Wer will schon Veränderung? Aber wenn Menschen eine Sinnhaftigkeit in dem Veränderungsprojekt sehen – einen wirklichen Mehrwert –, dann werden sie auch eine größere Veränderungsbereitschaft haben. Doch selbst hier liegt Konfliktpotenzial. Schließlich definiert jeder Mensch Sinnhaftigkeit für sich anders. Wer von Neugier geprägt ist, wird der Veränderung allerdings offener begegnen – zumal das Neue fast immer auf dem Bestehenden aufsetzt. Lernen auf der neuronalen Ebene bedeutet ja, Verbindungen herzustellen.  
Wer eine Organisation verändert, fragt sich ja auch: „Was haben wir vorher gemacht?“ – um es wertzuschätzen und das Neue daran anzuknüpfen. Genauso funktioniert das Individuum: Wer etwas komplett anderes machen möchte, müsste dafür exponentiell viel Energie aufwenden. Also stellt sich doch besser die Frage, wie ich das Gelernte für mich nutzbar mache, um in die nächsten Räume der Entwicklung zu gehen.

Wie helfen hier Werte, von denen Sie gesprochen haben?

Ein großer Wert ist eine unternehmerische Mentalität: Dass ich Probleme unternehmerisch-konstruktiv angehe. Das sieht man momentan bei unseren Studierenden extrem. 

Um nur ein Beispiel zu nennen: Wir hatten gleich fünf studentische Initiativen, die sich im Nachgang der Pandemie mit psychischer Gesundheit und Wohlergehen beschäftigten. 

Die Studierenden haben verstanden, wie wichtig das Thema gesamtgesellschaftlich, volkswirtschaftlich und damit für jeden Einzelnen ist. Da geht es um so elementare Fragen wie: „Wie komme ich gesund in den Ruhestand?“ Oder Themen wie nachhaltiger Umgang mit den eigenen Energien.

Wenn Anfang/ Mitte Zwanzigjähre solchen Fragen eine solche Bedeutung beimessen, kann man sich ausmalen, was das für die Unternehmen und deren Werte bedeutet: Psychische Gesundheit, die Vereinbarkeit von Arbeit und Leben, gerade aber auch die Vermittlung von Sinn wird einen immer größeren Stellenwert einnehmen.

Glauben Sie, dass Exzellenz – oder Meisterschaft – nicht zugleich mit einem hohen Leistungsdruck verbunden ist?

Dieser Leistungsdruck besteht fraglos. Aber er wird dann ungesund, wenn man den Fehler begeht, sich pausenlos mit anderen zu vergleichen – mit den 10% derjenigen, die noch mehr leisten als man selbst oder von denen man es zumindest glaubt. Wenn man sich ständig unter Druck setzt, andere in ihrer vermeintlichen Hochleistung nachzuahmen oder gar zu überflügeln, dann streikt irgendwann die innere Gewerkschaft, weil man das Zutrauen in sich selbst und damit in seine Einzigartigkeit verloren hat. 
Exzellenz entsteht nicht durch den Blick auf andere, sondern durch den Glauben an sich selbst und die Bereitschaft, seine Qualitäten weiterzuentwickeln. Dabei hilft es, im Oszillieren zwischen Erholung und Anspannung gerade auch leistungsfreie Räume für sich zu schaffen – den Austausch mit Freunden zu suchen oder einem Hobby nachzugehen, aber bitte, ohne auch hier wieder zur Höchstleistung ansetzen zu wollen.

Exzellenz bedeutet auch loslassen.

Dr. Florian Schulz

ist Postdoc und Dozent am Lehrstuhl für Organisationspsychologie sowie Leiter der psychologischen Beratungsstelle an der Universität St. Gallen. Er forscht und lehrt u.a. zu den Themen emotionale Beziehungsdynamiken im Arbeitsleben und Management Coaching Interventionen.

Executive & Leadership Coaching

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  • im dynamischen und komplexen Arbeitskontext erfolgreich zu navigieren,
  • fundierte und mutige Entscheidungen zu treffen,
  • nachhaltige Wertschöpfungsprozesse zu organisieren,
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Exzellenz. Wonach wir streben.

Cassini Consulting hat dem Lagebericht 2022 ein Magazin zum Thema Exzellenz vorangestellt. Darin lesen Sie hintergründige Artikel, Gastkommentare und Interviews, für die sich freundlicherweise auch unsere Klienten zur Verfügung gestellt haben. Ihre Interpretation von Exzellenz ist individuell. Man kann sogar zu dem Schluss kommen, dass es Exzellenz im Kern gar nicht gibt. Erst danach zu streben, führt zu Spitzenleistung.

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