Blogbeitrag von
Karin Brüning, Consultant, Cassini Consulting AG
Karin Brüning
Consultant
Segelboot Regatta
Navigieren in neuem Fahrwasser

Auf Kurs: Digitalisiert und agil in eine effiziente Zukunft

Wie sähe eine moderne, digitale öffentliche Verwaltung in einer idealen Welt aus? Viele Angelegen­heiten könnten bequem, schnell und einfach von zu Hause aus am Computer erledigt werden: die An­meldung eines Wohnsitzes in Berlin oder die Verlängerung des Personalausweises. Sollte ein Besuch im Bürgeramt nötig sein, wären kurzfristige Termine verfügbar. Die Mitarbeitenden der Bürgerämter könnten sich engagiert den Anliegen der Bürgerinnen und Bürger vor Ort widmen, da sie durch digitale Verwaltungsangebote entlastet würden.

Leider bleibt dies vorerst eine Utopie: Zu Beginn des Jahres waren die Voraussetzungen dafür bei­spielsweise in Berlin alles andere als optimal. Die Bürgerämter konnten ihren Service nur sehr einge­schränkt anbieten. Die Verwaltungsstrukturen sind veraltet, und ein akuter Fachkräftemangel ver­schärft die Situation. Schon Mitte 2023 fehlten in den zwölf Berliner Bezirksämtern fast 3.000 Mitarbeitende. Die Lage in der öffentlichen Verwaltung des Landes Berlin sieht nicht besser aus: Bis zum Jahr 2031 wird rund ein Drittel der Beschäftigten (ca. 43.000) in den Ruhestand gehen, gleich­zeitig sinkt die Zahl der Bewerbenden.

Die Anforderungen von Nutzenden verändern sich, gleichzeitig sehen sich Behörden einem steigen­den Veränderungs- und Ergebnisdruck ausgesetzt. Während in Digitalstrategien und Koalitionsverträ­gen das Zielbild einer digitalen Verwaltung verankert ist, sehen sich Behörden immer wieder mit scheiternden IT-Projekten konfrontiert. Die Herausforderungen der agilen Verwaltung werden vor allem auf drei Ebenen deutlich: in der Organisation, der Kommunikation und in der Arbeitsweise. Die Struktur der Organisation ist durch formale Vorgaben oft starr und lässt wenig Raum für Flexibili­tät. Daneben sind Zuständigkeiten häufig nicht gebündelt, sondern auf mehrere Stellen verteilt. In der Kommunikation besteht die Tendenz zu Informationssilos. Gängige Kommunikationskanäle sind nur eingeschränkt verfügbar, was die Kommunikation ebenso erschwert wie vielfältige Stakeholder, Interessen und Anforderungen. Die Agilisierung der Verwaltung erfordert zudem grundlegende Ver­änderungen im Kern jeder Organisation: der Art und Weise, wie gearbeitet wird. Dies betrifft das Füh­rungsverständnis, die Arbeitskultur sowie standardisierte Abläufe und Prozesse.

Welche Schlussfolgerungen lassen sich daraus ziehen? Zum einen, dass die Digitalisierung der Ver­waltung ein Hebel ist, um die hohe Zahl unbesetzter Stellen zumindest etwas abzufedern. Insgesamt mehr als 1,3 Millionen Beschäftigte werden in Deutschland in den nächsten zehn Jahren in den Ruhe­stand gehen. Zum anderen, dass gerade in der Verwaltung Arbeitsabläufe und Arbeitsmethoden dringend einer Generalüberholung bedürfen, nicht zuletzt, um auch für die Generation Z attraktiv zu sein.

Vorteile agiler Arbeitsweisen

Eine agile Arbeitsweise ist nicht nur für die Generation Z wichtig, sie führt auch nachweislich zu einer höheren Arbeitszufriedenheit. Gleichzeitig verbessert eine attraktivere Arbeitsumgebung in Behör­den das Image deröffentlichen Verwaltung insgesamt. Dies trägt dazu bei, dass Behördengänge für die Bürgerinnen und Bürger zu einem positiven Erlebnis werden.

Doch was genau bedeutet Agilität und wie lässt sie sich im Verwaltungsalltag umsetzen? Die agile Ar­beitsweise, ursprünglich in der Softwareentwicklung beheimatet, hat sich inzwischen zu einer prakti­kablen Antwort auf Digitalisierung und Globalisierung entwickelt. Agiles Handeln und Denken er­möglichen es, schnell auf Veränderungen zu reagieren und sich an neue Gegebenheiten anzupassen. Eine schnelle und effiziente Reaktion auf Veränderungen wird besonders dann wichtig, wenn diese einen festen Platz in der täglichen Arbeit einnehmen. Es ist sinnvoll, zwischen agilen Methoden (z.B. Scrum), die agile Techniken in eine Gesamtstruktur integrieren, und agilen Techniken, den konkreten Vorgehensweisen zurUmsetzung agiler Arbeitsweisen, zu unterscheiden. Agile Techniken können da­bei auch unabhängig von agilen Methoden eingesetzt werden.

Eine agile Arbeitsweise in der Verwaltung ist mit einer Navigation auf hoher See zu vergleichen. Ähn­lich einem Segelboot, das wechselnden Winden und Wetterlagen ausgesetzt ist, muss sich eine Orga­nisation flexibel an die verschiedenen Einflüsse und Unsicherheiten in ihrem Umfeld anpassen. Das Steuern der Organisation sollte nicht starr und vorhersehbar sein, sondern vielmehr die Fähigkeit be­sitzen, sich schnell auf ändernde Marktbedingungen, Anforderungen ihrer Zielgruppe oder interne Herausforderungen zu reagieren.

Im Gegensatz zu starren, vorgegebenen Plänen steht bei der Agilität die dynamische Anpassung des Kurses im Vordergrund, um Ziele effizient zu erreichen. Ähnlich wie ein erfahrener Seefahrer präzise Kurskorrekturen vornimmt, erfordert agiles Arbeiten die Fähigkeit, schnell auf Echtzeitinformationen zu reagieren. Die Vorteile einer agilen Arbeitsweise liegen in der Verbesserung von Kreativität, Pla­nung und Teamarbeit, in der Verringerung der Risiken sowie in der Steigerung der Qualität.

In diesem Szenario agieren die Mitarbeitenden wie die Crew eines Segelbootes, die gemeinsam an einem Strang zieht, um die Organisation in die gewünschte Richtung zu lenken. Jedes Teammitglied hat eine klar definierte Rolle und trägt dazu bei, dass die Organisation flexibel und effizient auf Kurs bleibt.

Tempogewinn durch gemeinsames Mindset

Agile Teams zeichnen sich durch eine kleine, kollaborative Struktur aus, die für Schnelligkeit, Flexibi­lität und geteilte Verantwortung steht. Ein zentrales Merkmal ist, dass stets die Bedürfnisse der Ziel­gruppe immer im Mittelpunkt stehen. Die agile Arbeitsweise basiert auf einem spezifischen Mindset, das sich an den Werten von Scrum orientiert: Mut, Fokus, Verpflichtung, Respekt und Offenheit. Die Entwicklung eines solchen Mindsets erfordert Vertrauen, effektive Kommunikation, kontinuierliches Feedback und Einfachheit.

Für eine erfolgreiche Zusammenarbeit sind ein regelmäßiger Austausch und iterative Prozesse uner­lässlich. Das bedeutet, dass Ergebnisse in regelmäßigen Abständen überprüft, angepasst und gegebe­nenfalls verworfen werden. Durch regelmäßige Meetings wird die Teaminteraktion positiv beein­flusst. Meetings haben einen klaren Zeitrahmenund eine Agenda, um Effizienz und Zielerreichung zu gewährleisten. Tägliche kurze Teammeetings schaffen Transparenz über laufende Arbeiten und Hin­dernisse, während regelmäßige stattfindende Retrospektiven(„Rückblicke“) dem Team die Möglich­keit geben, die Arbeitsweise zu reflektieren und gegebenenfalls Verbesserungen vorzunehmen. 

Von der Fehlerkultur zur Lernkultur

Die Basis für agiles Arbeiten ist ein funktionierendes Team, das gemeinsam Regeln entwickelt und gewünschtes Verhalten definiert. Meinungsverschiedenheiten sind dabei ausdrücklich erlaubt und erwünscht, da sie zur Etablierung einer Kultur beitragen, in der sich alle wiederfinden können. In ei­ner agilen Arbeitswelt betrachtet das Team Fehler nicht als störend, sondern als einen Hinweis da­rauf, dass etwas anders oder besser gemacht werden kann. Das Team trägt gemeinsam die Verant­wortung dafür, dass die vereinbarten Ziele erreicht werden. Während die Führungskräfte das Ziel vorgeben, gestaltet das Team den Weg dorthin. Dieser Weg ist nicht vorgegeben, sondern wird expe­rimentell erkundet und regelmäßig überprüft. So wird aus der klassischen Fehlerkultur eine Lernkul­tur, die auf Feedback und offener, transparenter Kommunikation basiert.

Eine agile Arbeitsweise wirkt sich auf drei Bereiche aus: die Arbeitsweise, die Kommunikation und langfristig auf die Organisation als Ganzes. Dieser Veränderungsprozess kann gezielt durch Führungs­kräfte gefördert werden, erfordert als Voraussetzung jedoch ein Umdenken darin, wie Führung verstanden und gelebt wird. Statt kleinteilige Aufgaben zu verteilen, delegiert eine Führungskraft ganze Projekte und agiert als Vorbild für die Mitarbeitenden. Kommunikation findet auf Augenhöhe statt, Feedback ist ein selbstverständlicher Teil der Kultur.

Die Organisation kann gestärkt werden, indem klare Ziele gemeinsam erarbeitet und adressatenge­rechtkommuniziert werden. Rollen und Verantwortlichkeiten werden klar definiert. Auf der Ebene der Kommunikation ist es wichtig, diese zu fokussieren. Dies geschieht durch eine Analyse der Kom­munikationsbedürfnisse und -prozesse,aus der entsprechende Maßnahmen abgeleitet werden. Darüber hinaus wird ein regelmäßiger und effektiver Austausch mit geeigneten agilen Formaten ge­för­dert. Veränderungen in der Arbeitsweise können durch Anreicherung erreicht werden. Dabei hel­fen niedrigschwellige und nutzenorientierte agile Praktiken und Tools, die vom agilen Projektma­nage­ment bis SAFe reichen können. Schulungen zu agilen Methoden und Werten sind dabei uner­lässlich, um das Verständnis zu schärfen und zu vertiefen.

Agilität in der öffentlichen Verwaltung ist die Fähigkeit von Organisationen, schnell und effektiv auf sich verändernde Umstände zu reagieren, Entscheidungen auch bei Unsicherheit zu treffen und konti­nuierlich Strategien und Prozesse anzupassen. Diese Agilität basiert auf einer kommunikations-, er­gebnis- und interaktionsorientierten Denkweise und zielt stets darauf ab, den maximalen Nutzen für die Anwendenden von Verwaltungsprozessen und -produkten zu gewährleisten.

Agiles Arbeiten ist ein Prozess

Die Veränderungen vollziehen sich also nicht auf einmal, sondern nach und nach. Gleichzeitig ist auch dieser Prozess einer ständigen Wandlung unterworfen, weil er sich den jeweiligen Gegebenheiten anpasst. Ein guter Ausgangspunkt ist die Klärung, was unter Agilität zu verstehen ist, sowie die Schaffung von gemeinsamen agilen Wertvorstellungen und Prinzipien. Als zweiter einfacher Schritt kann die Einführung von agilen Terminen erfolgen (wie z.B. Daily oder Retrospektive), die jeweils einen festen Zeitrahmen und eine zuvor abgestimmte Agendahaben. Dadurch kann die Anzahl an Meetings reduziert werden, während die Kommunikation effizienter und effektiver wird. Drittens sollten konstante Teams gebildet werden, damit diese sich optimal entwickeln können. Unter der Voraussetzung eigenverantwortlichen Arbeitens können alle im Team voneinander lernen, indem sie Prozesse und Kommunikation aufeinander abstimmen und alle ihre jeweiligen Stärken einbringen können.

Fazit

Agilität ist jedoch kein Allheilmittel und sollte nur dort eingesetzt werden, wo ihre Vorteile gegenüber traditionellen Arbeitsweisen deutlich überwiegen. Ein Segelboot ist beispielsweise nur dann sinnvoll, wenn ausreichend Wind vorhanden ist. In ruhigen Gewässern sind andere Fortbewegungsmittel besser geeignet. Ebenso muss der Einsatz agiler Techniken regelmäßig überprüft werden, um sicherzustellen, dass sie effektiver und effizienter sind als klassische Methoden.

Durch die Integration agiler Arbeitsweisen in die öffentliche Verwaltung kann eine bürgernahe und effiziente Verwaltung Realität werden und muss nicht länger eine Utopie bleiben.

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