Datenanalyse als Wertschöpfungsquelle
In diesem Beitrag erfahren Sie, wie Sie quasi mit Bordmitteln Daten analysieren, daraus Schlüsse ziehen und schließlich ein klar definiertes Pilot-Projekt starten können.
Probieren geht über Studieren
Um Steuerbetrug in der Stadt aufzudecken, verglich vor einigen Jahren die New Yorker Stadtverwaltung das Müllaufkommen der ansässigen Firmen mit deren gemeldeten Umsätzen. Jene Unternehmen, die besonders viel Abfall und Abwasser produzierten und dennoch relativ bescheidene Einnahmen vorgaben, wurden gezielt unter die Lupe genommen. Und siehe da: Die Prüfer wurden fündig, happige Steuernachzahlungen waren die Folge.
Was zunächst nach einer komplexen und aufwendigen Analyse aussah, war denkbar einfach und konnte mit einer Excel-Tabelle und den Daten aus Entsorgungsbetrieben und der Steuerbehörde gelöst werden. Wenn dagegen heute von Datenanalysen als Wertschöpfungsquelle die Rede ist, denken vor allem Mittelständler oft an aufwändige IT und Heerscharen von Spezialisten. An hohe Investitionen und langfristig gebundenes internes Know-how.
Dem widerspricht Prof. Dr. Andreas Engelen von der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität: „Unternehmen, die vorab viele Gedanken und Ressourcen in den Ausbau einer Datenstruktur mit entsprechender IT investiert haben, sind mit dem Fortschritt ihrer Data-Analytics-Themen häufig sehr unzufrieden oder stoppen diese Projekte sogar."
Engelen bezieht sich mit dieser Aussage auf eine gemeinschaftliche Studie der Cassini Consulting AG und der Heinrich-Heine-Universität. Am Lehrstuhl für Management wurden alle relevanten wissenschaftlichen und praxisnahen Publikationen zu dieser Thematik studiert und ausgewertet. Hinzu kamen Interviews mit Entscheidungsträgern für Analytics-Themen aus großen deutschen mittelständischen Unternehmen.
Fazit der gemeinsamen Studie: Unternehmen, die einen einfachen Einstieg mit einer naheliegenden Analyse auf der Basis bestehender Daten ohne große Vorab-Investitionen gewählt haben, vollzogen schrittweise eine erfolgreiche Transformation zu einem datengetriebenen Unternehmen. Mit dieser als „Lean Analytics“ bezeichneten Methodik hätten diese Unternehmen in kurzer Zeit die Grundlage für ein profitables Geschäft geschaffen.
Ziel definieren und Datenquellen identifizieren
Die wichtigsten Fragen nach der Analytics-Logik sollten lauten: Welche Stellschrauben des Unternehmens sind überhaupt relevant und beeinflussbar? Welche Anpassungen können zu einem besseren Ergebnis führen?
„Das Ziel jeder Datenanalyse lässt sich nur erreichen, wenn im gesamten Prozess ein klarer Fokus auf die Wertgenerierung für das Unternehmen liegt“, erklärt Engelen. „Nur eine quantitative Zielsetzung stellt sicher, dass mit der Datenanalyse an realen Werten für das Unternehmen gearbeitet wird.“
Typische Ziele wären beispielsweise eine bessere Produktqualität, geringere Materialkosten, effizientere Vertriebswege aber auch höhere Kundenzufriedenheit, größere Marktanteile und gesteigerte Attraktivität für hochqualifizierte Mitarbeiter.
Der Analytics-Prozess erfährt nur dann volle Akzeptanz und Unterstützung der Geschäftsleitung, wenn schnell gezeigt wird, dass in den Daten relevante Erkenntnisse stecken, die für das Unternehmen einen Vorteil gegenüber dem Wettbewerb spielen.
Anstelle von langen Konzept- oder Strategiephasen sollte ein erster Anwendungsfall zeitnah und pragmatisch umgesetzt werden. Die Erfolge und Herausforderungen dieses ‚Piloten‘ sind zudem systematisch zu reflektieren und zu analysieren, um für weitere Projekte zu lernen.
Ist das Ziel des Analytics-Prozesses definiert, geht’s an die Identifikation der Datenquellen. Dies sollte mittlerweile kein Problem sein, da die meisten Unternehmen intern große Datenbestände aufgebaut haben. Neben prozessbezogenen und buchhalterischen Daten sind dabei insbesondere Daten aus der Webpräsenz des Unternehmens sowie aus Serviceanfragen zu nennen, aber auch alternative Datenquellen wie etwa Wetterdaten, Schiffspositionsdaten etc. können wertvolle Insights geben.
Schauen wir uns zunächst jene Unternehmensbereiche genauer an, die typischerweise als Datenquellen infrage kommen.
Daten aus der Produktion
Viele Produktions- und Verarbeitungsmaschinen arbeiten inzwischen mit mehr oder weniger komplexer Prozesssteuerung. Selbst wenn die Maschinen noch nicht solche Daten zur Verfügung stellen, können sie meist mit IoT Devices kostengünstig nachgerüstet werden. Werden die in Echtzeit generierten und gespeicherten Daten mit historischen Werten verglichen, lassen sich bei der Analyse vielfach Gründe für Ausschuss und mangelnde Qualität identifizieren.
Daten aus dem Marketing
Die im Marketing anfallenden Daten beziehen sich üblicherweise auf Kunden, auf deren Transaktionen und Interaktionen, die in Kundenprofilen („Personas“) münden. Neben intern erfassten, personenbezogenen Daten bieten Online-Tools wie die „Google Marketing Platform“ Informationen zur Relevanz der eigenen Website.
Daten aus dem Vertrieb
Wie im Marketing steht auch im Vertrieb der (potenzielle) Kunde im Mittelpunkt. Mit einer datengetriebenen Vertriebsoptimierung lässt sich zum Beispiel systematisch auswerten, welche Kunden in Zukunft den höchsten Kundenwert besitzen. Für die Steuerung des Außendienstes zum Beispiel wäre dies ein wichtiger Faktor. Auch lassen sich mit Hilfe von zusammengeführten Daten aus verschiedenen Bereichen des Unternehmens und komplexeren Analytischen Methoden, der Customer-Lifetime-Value viel besser prognostizieren, als mit den tradierten Modellen der Betriebswirtschaftslehre.
Daten aus dem Kundenservice
Je zufriedener ein Kunde, desto länger bleibt er erhalten und desto höher ist sein Umsatzpotenzial. Nach der Analyse der Daten rund um das Kundenverhalten einschließlich des Beschwerdemanagements lassen sich Service-Level einrichten und Key Accounts ebenso herauskristallisieren wie umsatzschwache Kunden, die es zu aktivieren gilt. Neuere Modelle aus der KI können sogar eine Triage der Kunden vornehmen, welche die Kunden beispielsweise nach ihrem Frustrationsniveau einem Kundendienstmitarbeiter zuweist.
Daten aus dem Human Resources Management
Sowohl aus internen als auch externen Quellen wie Social-Media-Plattformen oder Bewertungsportalen können Daten gewonnen werden, die Kündigungswahrscheinlichkeiten offenbaren und Potenziale zur Verbesserung der Unternehmenskultur aufzeigen. Selbst potenzielle neue Arbeitgeber lassen sich identifizieren, zum Beispiel durch die Analyse von Kundenprofilen in einschlägigen Foren.
Daten aus der Ressourcen-Steuerung
Vom Call Center über das Lager bis zur IT: An bestimmten Tagen oder zu bestimmten Anlässen liegt die Auslastung mancher Abteilung bei 100 Prozent. Historische Daten, Wetterprognosen oder Wettbewerbsbeobachtungen können zum optimalen Einsatz verfügbarer Ressourcen genutzt werden, sodass Überforderungen gar nicht erst entstehen.
Daten konsolidieren und ein Team zusammenstellen
Konnten die ersten Projekte einen Mehrwert für das Unternehmen liefern, geht es dann in einem weiteren Evolutionsschritt darum diese Analysen nicht nur ad-hoc vorzunehmen, sondern diese fest in Unternehmensprozessen zu implementieren und zu skalieren um so ihren Mehrwert noch zu steigern. Reichten für die ersten Schritte handelsübliche PC’s aus, so sind hier nun weitere Kenntnisse gefragt wie beispielsweise der Aufbau eines Data Lakes und standardisierter Pipelines. Zudem werden nun auch ein besonderes Augenmerk auf eine konsistente Datenbasis gelegt. Denn jede Analyse ist nur so gut wie die Daten, die ihr zugrunde liegen. Damit nicht Äpfel mit Birnen verglichen werden, muss die Struktur der Datenbank an den jeweiligen Datensatz angepasst sein.
Die Konsolidierung der gesammelten Daten ist allerdings nicht trivial, ausreichende Priorität und Ressourcen zum Aufbau der Datenbasis sind unbedingt einzuplanen. Ebenso notwendig ist der Aufbau eines Teams, in dem interne Mitarbeiter ebenso zu finden sind wie externe Experten. Ein solches Team sollte Daten-Kompetenz mit Business-Kompetenz kombinieren. Denn nur dann ist sichergestellt, dass die Analyse auch wirklich das anfangs definierte Geschäftsziel erreicht. Der Unterschied ist nun aber, dass die hierfür notwendigen Investitionen sich aus den Mehrwerten der ersten Stufe speisen und sich somit von Anfang an nahezu selbst tragen.
Beispielhafte Use Cases mit „Lean Analytics”-Ansatz
Die folgenden Use Cases soll Ihnen ein Gefühl dafür vermitteln, wie mit relativ geringem Aufwand ein Pilotprojekt in Sachen Datenanalyse aufgesetzt werden kann.
Use Case #1
Branche:
Vertrieb und Aufbau von Photovoltaik-Anlagen
Zielsetzung:
Ermittlung potenzieller Neukunden im Umkreis des Unternehmensstandorts
Datenquellen:
- Katasterdaten der Gemeinde bzw. Kommune
- Sozioökonomische Daten kommerzieller Anbieter (Zensusdaten)
- Daten des Bundesamts für Kartographie und Geodäsie
Vorgehen:
Die Kataster-, Zensus- und Geodaten werden dahingehend verschnitten und analysiert, dass lediglich Besitzer von Ein- und Mehrfamilienhäusern mit großen Dachflächen im Ergebnis erscheinen. Das Resultat sind potenzielle Kundenanschriften, die sich vom Marketing gezielt nutzen lassen.
Use Case #2
Branche:
Kette von Gartenbaumärkten
Zielsetzung:
Ermittlung potenzieller Filialstandorte in bisher nicht berücksichtigten Gegenden mit großen Gartenflächen
Datenquellen:
- Google: “Search Console” und “Analytics”
- Google Maps oder Open Street Map
- Daten des Immobilienmarktes
- Sozioökonomische Daten kommerzieller Anbieter (Zensusdaten)
Vorgehen:
Mit den Google-Tools lassen sich Zugriffe auf die Unternehmenswebsite auf PLZ-Ebenen reduzieren und nach für den Gartenbau spezifischen Suchbegriffen durchsuchen. Erscheinen in der Suche signifikant viele Produkte aus dem Portfolio des Unternehmens und liegt nach Auswertung der Immobiliendaten kein Gartenbaumarkt in der Nähe, wird die Kaufkraft der Gegend gewichtet. Nach der Analyse ergeben sich potenzielle neue Filialstandorte.
Use Case #3
Branche:
Versicherungen
Zielsetzung:
Ermittlung der Gründe für steigende Kündigungsraten
Datenquellen:
- Google: “Search Console” und “Analytics”
- Google Maps oder Open Street Map
Vorgehen:
Die Adressen der kündigenden Kunden werden über die Google-Tools ermittelt, ausgewertet und in einer Kartenansicht gezeigt. Stellt sich heraus, dass die meisten Kunden in Stadtgebieten zu Hause sind, die von keinem eigenen Versicherungsmakler abgedeckt werden, könnte dies auf fehlende persönliche Beratung hindeuten. Mit der Eröffnung neuer Standorte ließe sich dem entgegensteuern.