Entscheidungsverhalten | Heuristik
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Warum der Mensch zu irrationalen Entscheidungen neigt

Das Entscheidungsverhalten von Konsument*innen ist dynamisch. Meist weicht es von rein rational getriebenen Abwägungen ab, doch warum? Bei Online-Kaufentscheidungen werden vereinfachte Denkprozesse angewendet, die von unterschiedlichsten Faktoren beeinflusst werden können. Wir zeigen Ihnen anhand verhaltensökonomischer Ansätze, wie Sie Kaufentscheidungen Ihrer Onlinekund*innen mittels ausgewählter Heuristiken beeinflussen können. 

Menschen treffen jeden Tag eine Vielzahl von Entscheidungen. Ein großer Teil erfolgt hierbei unbewusst. Neben den Entscheidungen, welche primär unbewusst ablaufen, gibt es Entscheidungen, die eine bewusste Bearbeitung komplexer Zusammenhänge erfordern und entsprechend bewusst wahrgenommen und verarbeitet werden. Vor jeder Entscheidung stehen Einschätzungen von Situationen, Objekten oder Personen, die den Entscheidungsprozess mitbestimmen. Heutzutage sorgen die Schnelllebigkeit moderner Informationssysteme, die weltweite digitale Vernetzung sowie eine daraus resultierende komplexe Gesellschaftsstruktur mit ständig verfügbaren Informationen dafür, dass die Entscheidungsvielfalt für Konsument*innen zunehmend größer wird. Insbesondere im Onlinebereich konkurriert stets einer Vielzahl von Angeboten im Wettbewerb um die eine Kaufentscheidung. Ebendieser feste Bestandteil unseres Alltags – das Entscheiden – hat einen bedeutenden Forschungsbereich hervorgebracht: Die Verhaltensökonomie.

Was ist die Verhaltensökonomie und wie kann sie Unternehmen unterstützen?

Die Verhaltensökonomie beschäftigt sich mit den Abweichungen menschlichen Verhaltens vom Verhaltensmodell des rationalen Homo oeconomicus. Die verhaltensökonomische Forschung erklärt wirtschaftliches Entscheidungsverhalten und erprobt Standardmodelle der Ökonomie mit Menschen, um deren Gültigkeit zu prüfen und letztlich das wirtschaftliche Entscheidungsverhalten zu verstehen und vorherzusagen.

Bei dem Homo oeconomicus handelt es sich um ein Modell, welches aus der klassischen Ökonomie stammt. Ausgehend von dem Homo sapiens, dem modernen Menschen, repräsentiert der Homo oeconomicus den Idealtypus des wirtschaftlich handelnden Menschen. Dieser setzt stets die eigene Nutzen- und Gewinnmaximierung in den Fokus und agiert demzufolge ausschließlich rational.

Die Verhaltensökonomie, als relativ junger Bereich der Wirtschaftswissenschaft, eröffnet die Möglichkeit für ein besseres Verständnis wirtschaftlicher Gegebenheiten durch die Annahme, dass Menschen hingegen nicht immer rational handeln. Demnach steht der Mensch, anders als bei einem rational handelnden Roboter oder dem Homo oeconomicus, vor vielzähligen Herausforderungen bezüglich einer rationalen Beurteilung neuer Informationen. In der Verhaltensökonomie werden psychologische Erkenntnisse integriert, um die Diskrepanzen zwischen tatsächlichem und rationalem Verhalten, den sogenannten Verhaltensanomalien, zu erklären.

Wie treffen Menschen Entscheidungen und wieso handeln Menschen nicht rational?

Das Kaufverhalten unterliegt einem ständigen Wandel. Zahlreiche gesellschaftliche Veränderungen, Megatrends wie die Digitalisierung und der demografische Wandel prägen und verändern es. Insbesondere die Digitalisierung und die Pandemie als zusätzlicher Treiber sorgten für einen anhaltenden bedeutsamen Zuwachs der Onlinekäufe. Aufgrund der zunehmenden Komplexität von Entscheidungssituationen, welche vor allem durch ein Überangebot des Marktes und durch die Schnelllebigkeit der heutigen Gesellschaft erweitert werden, unterliegt das Entscheidungsverhalten von Konsument*innen erheblichen Entwicklungen. 

Zusätzlich ist ein Wertewandel der Gesellschaft zu verzeichnen, wodurch Aspekte wie die individuelle Zufriedenheit und die Selbstverwirklichung an Bedeutung gewinnen. Um diesen Veränderungen im Kaufverhalten gerecht zu werden, ist ein grundlegendes Verständnis seitens des Handels über die Ansprüche ihrer Kund*innen unabdingbar. Folglich bedarf es einer individuellen Einzelbetrachtung, da die Verhaltensmuster nicht generalisierbar sind. Grundsätzlich dienen Entscheidungstheorien als Erklärungsansatz, wie reale Entscheidungen entstehen. Darüber hinaus dienen sie als Hilfestellung für die Entscheidungsfindung. 

Insgesamt ist durch die hohe Komplexität einiger Entscheidungen eine detaillierte und rationale Abwägung aller Möglichkeiten in Hinblick auf deren Nutzen unverhältnismäßig. Der hohe kognitive Aufwand für eine Kaufentscheidung ist aus Sicht von Konsument*innen häufig zu aufwendig. Aus diesem Grund greifen Individuen in Entscheidungssituationen oftmals auf Heuristiken zurück. Diese gelten als generalisierte, zumeist unbewusste Regeln und führen dazu, dass Kund*innen trotz einer geringen Informationsbasis schnelle, klare Entscheidungen treffen. Auf diesem Wege kann die Komplexität der Kaufentscheidung sowie der kognitive Aufwand reduziert und eine Wahl getroffen werden. Derartige Urteils-Heuristiken sind somit vereinfachte Denkmuster, sie wurden innerhalb verschiedener Forschungsfelder, wie in der Wirtschaftspsychologie, für die deskriptive Entscheidungstheorie erforscht. Die Art der Heuristik variiert je nach Entscheidungssituation. 

Die Verhaltensökonomie zieht für die Erklärung von Abweichungen zu rein rationalen Entscheidungen soziale Präferenzen, Heuristiken und Normen heran. 

Urteilsheuristiken

Wie können Unternehmen von Heuristiken ihrer Kund*innen profitieren?

Das Wissen um den Einfluss von Heuristiken auf den Kaufentscheidungsprozess erleichtert auch Unternehmen den Umgang mit seinen Kund*innen. Statt der individuellen Einzelbetrachtung von Ansprüchen können sie sich der gleichen Metrik bedienen, um ein positives Kundenerlebnis bewusst zu steuern. Im Folgenden haben wir die verschiedenen Effekte aufgelistet.

  1. Priming-Effekt: 
    Unter Priming wird das Auftreten eines konkreten Ereignisses verstanden, welches die Eintrittswahrscheinlichkeit eines bestimmten Folgeereignisses erhöht. Derartige Ereignisse, sogenannte Primes, werden von dem Konsument*innen lediglich unbewusst wahrgenommen und in der Entscheidung entsprechend unbewusst berücksichtigt. Ein Beispiel für einen Prime stellt der Preis dar. So wird angenommen, dass Konsument*innen bei einem höheren Preis eine höherwertigere Qualität erwarten, wohingegen bei einem niedrigen Preis eine mindere Qualität vermutet wird. Grundsätzlich solltenUnternehmen ihren Preis nicht im Hinblick auf die Qualitätswahrnehmung definieren, sondern im Rahmen der Kommunikation mit den Kund*innen weitaus mehr Faktoren berücksichtigen.
    Beispielsweise verkörpert die Marke ein weiteres Kriterium hierfür. Unternehmen sollten Maßnahmen treffen, die zu einer langfristigen positiven Markenbildung beitragen, um sich den Priming-Effekt der Marke zu Nutze zu machen. Zunächst sind mit Hilfe von Marktforschungen der Status quo der Markenwahrnehmung festzustellen und die Präferenzen der Konsument*innen zu ermitteln. Die Markenassoziation bzw. der Priming-Effekt der Marke spielt hinsichtlich der Qualitätswahrnehmung eine signifikant größere Rolle als der Preis und dessen Priming-Effekt.
  2. Verlustaversion:
    Menschen sind meistens risikoavers, sofern es sich um Gewinnmöglichkeiten handelt. Durch die generelle Vermeidung von Verlusten werden diese etwa doppelt so stark empfunden wie Gewinne. Im Fall von potenziellen Verlusten tendieren Menschen hingegen zur Risikoaffinität. Für Unternehmen kann aus der Heuristik der Verlustaversion geschlossen werden, dass Kund*innen in der Kommunikation ein hohes Maß an Sicherheit gegeben werden sollte. Diese Sicherheit kann zum Beispiel durch Zufriedenheitsgarantien oder das Anbieten von Retoure-Möglichkeiten vermittelt werden. Konsument*innen möchten durch ihr (Kauf-)Verhalten möglichst kein Risiko eingehen, sodass derartige Sicherheitsaspekte in der Entscheidung berücksichtigt werden.
  3. Ankereffekt:
    Feste und langfristige Preisangaben können als Anker fungieren und Kunden dazu verleiten, eine höhere Zahlungsbereitschaft aufzubringen. Demnach kann davon ausgegangen werden, dass sich Konsument*innen beispielsweise an regelmäßige Rabattaktionen gewöhnen. Damit einhergehend kann ihre Zahlungsbereitschafft sinken, da sie in Zukunft den rabattierten Preis als Anker betrachten und der reguläre Preis entsprechend zu hoch erscheint.
  4. Besitztumseffekt
    Verbraucher*innen schätzen Produkte durchschnittlich als wertvoller ein, wenn sie diese besitzen. Das Ziel sollte darin bestehen, den Kunden das Gefühl zu vermitteln, dass sie das Produkt vor dem tatsächlichen Kauf bereits besitzen, um somit den Besitztumseffekt zu bewirken und die Kaufbereitschaft zu erhöhen. Beispielweise könnten Unternehmen insbesondere für preisintensive oder langfristig zu nutzende Produkte Testphasen anbieten. Innerhalb dieser Testphasen bekommen Kund*innen das Gefühl vermittelt, dass ihnen das Produkt bereits gehört. Nach Ablauf der Testphase hat der Konsument eine höhere Bereitschaft, das Produkt tatsächlich käuflich zu erwerben.
  5. Repräsentativitätseffekt:
    Eine weitere Erkenntnis, die von der Annahme des rationalen Homo oeconomicus abweicht, liegt darin, dass Konsument*innen die Repräsentativität von Rezensionen unverhältnismäßig zu dem Umfang einer Stichprobe wahrnehmen. Dies bedeutet, dass sie ein Produkt als wertvoller einschätzen, welches wenige Rezensionen mit einer leicht höheren Durchschnittsbewertung hat als ein Produkt mit durchaus mehr Bewertungen, aber einer leicht niedrigeren Durchschnittsbewertung. Unternehmen sollten daher darauf achten, dass online sowohl ihre Durchschnittsbewertung gut ist als auch, dass die Anzahl der Rezensionen hoch ist. Nichtsdestotrotz gilt zu beachten, dass die Qualität der Rezensionen maßgeblicher als die Quantität angesehen wird. Demzufolge sollten Unternehmen den Repräsentativitätseffekt beachten und primär ihre umsatzstärksten Kund*innen bzw. die Bestandskund*innen um eine Bewertung bitten, statt jeden Kaufvorgang mit einer Bewertung abschließen zu lassen. Auf dieser Basis können überwiegend positive Bewertungen von zufriedenen Kunden generiert werden.
  6. Herdeneffekt:
    Das Verhalten anderer Konsument*innen spielt grundsätzlich eine wichtige Rolle bei der Kaufentscheidung. Demnach ist empfehlenswert, den Austausch zwischen den Konsumenten beispielsweise durch Online-Communities zu ermöglichen. Die Bereitstellung von Rabattcodes nach dem Kauf als Tell-a-friend-Aktion sind ein weiteres Instrument. Wurden die Rabattcodes eingesetzt, erhalten sowohl der initial Kaufende als auch die zweite Person eine Vergünstigung. Dieses Vorgehen sollten Unternehmen forcieren, um Kund*innen als Multiplikatoren zu aktivieren. Die Weiterempfehlung von Freund*innen und Bekannten ist im Vergleich beispielsweise zum Social-Media-Auftritt der größte Einflussfaktor. Außerdem kann die Kennzeichnung eines Produkts als Bestseller die Kaufentscheidung beeinflussen. Daher ist es erstrebenswert, Label wie Bestseller-Auszeichnungen auf Online-Plattformen (bspw. auf Amazon) zu erhalten. Dies hat jedoch lediglich geringe Auswirkungen auf den Umsatz. Im Hinblick auf die Social-Media-Präsenz gilt es, diese je nach Unternehmen, Content und Zielgruppen differenziert zu betrachten.

Aus der Erkenntnis, welche Entscheidungshilfen Konsumenten für ihre Onlinekäufe heranziehen, lässt sich neben den Bewertungen und Erfahrungsberichten ableiten, dass die Präsenz auf Preisvergleichsportalen für Unternehmen sehr wichtig ist. Außerdem wird ersichtlich, dass der Onlinehandel seine Vorzüge gegenüber dem stationären Handel zunehmend auszuspielen und ihn zu verdrängen weiß. Die Kaufentscheidung ist immer weniger vom Vor-Ort-Erlebnis geprägt, sodass sich Unternehmen vorrangig auf den Onlinebereich fokussieren sollten.

Durch die gezielte Anwendung dieser Effekte können Sie die Entscheidungsprozesse der Konsument*innen beeinflussen und deren Bedürfnisse besser verstehen, wodurch Sie letztlich die Zahlungsbereitschaft Ihrer Kund*innen maximieren können.

Wie helfen Daten bei der Skalierung?

Vor diesem Hintergrund geriert die gezielte Nutzung von Daten und Data Science zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Aus den individuellen Gewohnheiten ihrer Nutzenden können Unternehmen relevante Informationen extrahieren und nutzbar machen (Predictive Analytics). Sie können Cross-Selling-Potenziale heben und Ihre Marketingkampagnen optimieren, um beispielsweise der Abwanderung von Kund*innen vorzubeugen. Durch die Nutzung von Daten steigern Sie die Effektivität Ihrer Onlinepräsenz, verbessern die digitalen Kauferlebnisse und machen diese gezielt messbar. Data-Science-Methoden und Tools eröffnen Unternehmen vielfältige Möglichkeiten, die zuvor beschriebenen Effekte bei Kaufentscheidungen optimal auszunutzen. 

Darüber hinaus spielen Daten eine entscheidende Rolle bei der Skalierung von Unternehmen, da sie es ermöglichen, Geschäftsprozesse zu automatisieren und zu optimieren. Und dies nicht nur in der Interaktion mit Kund*innen, sondern auch im Hinblick auf die Lieferkette. Daher ist es für Unternehmen von großer Bedeutung, ihre Daten effektiv zu nutzen und so eine solide Grundlage für die Skalierung ihres Geschäfts zu schaffen.

Artikel von:
Hanna Giffey, Consultant, Cassini Consulting AG
Hanna Giffey
Consultant

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