Blogbeitrag von
Christian Kretschmer, Cassini Consulting
Christian Kretschmer
Management Consultant
Benjamin Wimmer, Cassini Consulting
Benjamin Wimmer
Management Consultant
Wissen- und Kompetenzaufbau im Prozessmanagement
Wissensvermittlung und Kompetenzaufbau

Erfolgstreiber im Prozessmanagement 

Lebenslanges Lernen und der Erwerb neuer Kompetenzen sind zentrale Erfolgsfaktoren für einen erfolgreichen Umgang mit dem digitalen Wandel. Wir begleiten seit vielen Jahren Organisationen aller Größen – vom KMU über die öffentliche Verwaltung bis hin zum Konzern – bei der Einführung und Weiterentwicklung ihres Prozessmanagements und der Optimierung ihrer Prozesse. Bei den 19. Stuttgarter Wissensmanagement-Tagen im November 2023 haben wir unsere Erfahrungen bei der Wissensvermittlung und beim Kompetenzaufbau zum Prozessmanagement in der öffentlichen Verwaltung am Beispiel der Landeshauptstadt München geschildert und hier noch einmal zusammengefasst.

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Wissen und Kompetenz werden gern verwechselt

Formelle Lernangebote – d.h. Handbücher und Unterlagen zum Selbststudium (gerne auch digital als Wiki oder in vergleichbaren Formaten aufbereitet) oder klassische Schulungen (remote oder in Präsenz) – bilden in vielen Organisationen weiterhin die Grundlage bei der Wissensvermittlung. Solche Lernangebote stoßen aber schnell an Grenzen; zum einen, was die Größenordnungen angeht: Zehntausende Mitarbeitenden oder Tausende Führungskräfte zu schulen – selbst wenn es nur um Grundlagen geht – ist extrem zeit- und kostenaufwendig; zum anderen eignen sich solche Angebote vor allem für die Vermittlung von Theoriewissen, helfen aber nur bedingt dabei, praktische Handlungskompetenz in einem Bereich wie Prozesscontrolling, kontinuierlicher Prozessverbesserung oder strategischer Steuerung aufzubauen. Wissen ist eine zwingende Voraussetzung für Kompetenz, aber nicht gleichzusetzen mit Kompetenz selbst. 

Der feine Unterschied

Wissen bezieht sich auf Informationen, Fakten, Konzepte und Theorien, die durch Lernen oder Erfahrung erworben werden. Kompetenz bezieht sich hingegen auf die Fähigkeit einer Person, ihr Wissen in konkreten Situationen erfolgreich anzuwenden, Probleme zu lösen oder (neue) Aufgaben zu bewältigen.

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich die Verwaltung immer noch sehr stark auf Wissensmanagement konzentriert, das angesichts des herrschenden Fachkräftemangels oft als ein wesentlicher Grund genannt wird, um u.a. Prozessmanagement einzuführen oder weiterzuentwickeln. Während die Wirtschaft sich seit den frühen 2000er Jahren immer stärker vom Wissensmanagement hin zu einem integrierten Kompetenzmanagement entwickelt, haben weite Teile der Verwaltung weiterhin einen starken Fokus auf Wissensmanagement – oder betrachten Kompetenzmanagement teilweise losgelöst davon.

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Kompetenzaufbau erfordert informelle Lernangebote

Die erfolgreiche Einführung von Prozessmanagement in großen Organisationen benötigt nicht nur kompetenzorientierte formale Lernangebote, sondern auch die Integration von informellem Lernen. 

Informelles Lernen beschreibt den Erwerb von Wissen, Fähigkeiten, Einsichten und Kompetenzen außerhalb formaler Lernangebote (Schule, Universität, Seminare) und strukturierter Lehrpläne. Informelles Lernen erfolgt im Gegensatz zum formalen Lernen eher spontan in alltäglichen Situationen (z.B. bei der Bewältigung irgendwelcher Aufgaben oder dem Lösen von Problemen), eher selbstgesteuert und in sozialen Interaktionen durch das Verfolgen persönlicher Interessen.

Das, was wir unter informellem Lernen verstehen, geht auf verschiedene Ansätze zurück. 

Vom individuellen Wissen zur lernenden Organisation

Grundcharakteristika des 70-20-10-Lernmodells: 

  • Der Großteil des Lernens (70%) findet durch praktische Erfahrungen am Arbeitsplatz statt (Learning from Experience). Dies kann das Erledigen von Aufgaben, die Zusammenarbeit mit Kolleg:innen, Projekterfahrungen und andere berufsbezogene Aktivitäten umfassen.
  • Etwa 20% des Lernens geschieht durch soziale Interaktionen und den Austausch mit anderen (Learning from Others). Dies kann in Form von Mentoring, Coaching, Diskussionen, Communities of Practice, Feedback von Kollegen und anderen sozialen Aktivitäten erfolgen.
  • Nur etwa 10% des Lernens werden durch formale, strukturierte (Weiter-) Bildungsangebote erreicht (Learning from Structured Education). Dazu gehören Schulungen, Workshops, Seminare und andere formelle Lehrveranstaltungen.

Alle oben genannten Konzepte gilt es bei der Einführung von Prozessmanagement sinnvoll zu berücksichtigen. Change-Management, Wissenstransfer- und Wissensmanagement sowie Kompetenzentwicklung sind hier kaum zu unterscheiden. Bei der Konzeption und Umsetzung verschiedenster Change- und Qualifizierungsangebote haben wir in den letzten Jahren immer wieder erlebt, dass vor allem das praktische Problemlösen – z.B. durch die Übernahme einer Rolle in der Prozessorganisation oder die Übernahme von Aufgaben (Moderieren eines KVP-Workshops) – den größten und nachhaltigsten Effekt beim Erwerb von Wissen und Kompetenz haben. Vor allem bei der Arbeit mit Führungskräften haben wir gelernt, dass sie selten empfänglich für rein theoretische Impulse (Wie funktioniert Prozessmanagement oder welchen Nutzen hat es?) sind, aber sehr interessiert an sozialem Austausch. Regelmäßigen Netzwerktreffen von Führungskräften mit Prozessrollen (z.B. als Prozesseigner:in oder Prozessverantwortliche) oder anderen Arten von Comunities of Practice, die den gegenseitigen praxisorientierten Erfahrungsaustausch und die Diskussion praktischer Probleme fördern, werden hingegen von der Mehrheit der Teilnehmenden als sehr effektive Format bewertet. 

Neben solchen Formen sozialen Lernens werden von vielen Mitarbeitenden vor allem auch orts- und zeitungebundene Lernangebote (Learning on demand) geschätzt – egal, ob in Form kurzer Videos oder umfangreicheren multimedialen Lernreisen für die Übernahme neuer Rollen. Insbesondere die Flexibilität solcher informellen Angebote wird gewürdigt, da sie den individuellen Bedürfnissen der Lernenden besser entspricht. Dies betrifft nicht nur Ort und Zeit, sondern auch die Lerngeschwindigkeit: Allein kann man sich schwierige Themen mehrfach anhören bzw. ansehen oder bereits bekannte Themen überspringen oder schneller abspielen. 

Informelle Lernangebote bringen Organisationen bei der Einführung neuer Themen zahlreiche Vorteile. Sie stellen die Organisationen aber auch vor ganz neue Herausforderungen, da 

  • die Angebote aufwendiger zu planen sind,
  • positive Rahmenbedingungen in der Organisation erfordern (vor allem mehr Zeit zum Lernen),
  • der Lernerfolg nur schwer messbar ist
  • und es allgemein eine größere Zahl von Angeboten benötigt, welche die verschiedenen Lernpräferenzen und Lerntypen möglichst individuell adressieren.

In Zeiten verteilter Teams und mit der immer weiteren Verbreitung von Homeoffice müssen vor allem die Ansätze zum sozialen Lernen konsequent weiterentwickelt werden. Dabei hilft es, kompetenzbasierte Lernziele für alle notwendigen Rollen in einer Organisation zu formulieren – unabhängig davon, mit welchem Lernangebot diese Lernziele später unterstützt werden. Formen sozialen Lernens unterstützen hierbei vor allem die höheren Lernzielstufen – hier z.B. Verstehen, Anwenden, Analyse, Synthese, Evaluation, wenn man sich an den Taxonomiestufen nach Bloom orientiert.

Bloomsche Taxonomie

Die Bloomsche Taxonomie ist ein hierarchisches Modell zur Klassifikation von Lernzielen, entwickelt von Benjamin Bloom. Sie beginnt mit dem einfachen Erinnern von Fakten und Grundlagen (Wissen), gefolgt vom Verstehen und Erklären von Konzepten. Anschließend geht es um das Anwenden bekannter Informationen in neuen Situationen, die Analyse von Strukturen, das Bewerten (Evaluieren) basierend auf Standards und schließlich das Erschaffen neuer Ideen oder Produkte. Diese sechs Taxonomiestufen spiegeln eine fortschreitende Komplexität und Tiefe im kognitiven Lernprozess wider.

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Kompetenzaufbau erfordert eine persönliche Verbindung mit den Lerninhalten

Intrinsische Motivation ist zentral für das praxisorientierte Lernen, da sie den inneren Antrieb zur Beschäftigung mit einem Thema aus eigenem Interesse fördert. Diese Art des Lernens entspricht den höheren Taxonomiestufen nach Bloom, da sie die Anwendung und Analyse von Wissen fördert, und dadurch das Gefühl der Selbstwirksamkeit verstärkt, indem theoretisches Wissen unmittelbar in praktische Tätigkeiten umgesetzt wird. Lernende entdecken durch aktive Problemlösung, Experimente und Projektarbeit oft neue und interessante Aspekte eines Themas, was ihre Neugier und intrinsische Motivation weiter anregt. Die direkte Anwendbarkeit des Gelernten auf persönliche oder berufliche Ziele macht das Lernen sinnvoll und wertvoll, was die Motivation und das Engagement für das Thema vertieft. Somit ist intrinsische Motivation das Kernstück des praxisorientierten Lernens, das Lernen zu einer persönlich bedeutsamen und befriedigenden Erfahrung macht. 

ADKAR-Modell: Bewusstes, Wunsch, Wissen, Fähigkeit, Verstärkung

Insgesamt schafft das ADKAR-Modell ein Lernumfeld, das die intrinsische Motivation auf allen Ebenen anspricht und fördert. Es unterstützt die Lernenden dabei, eine tiefe, persönliche Verbindung zum Lernstoff aufzubauen und sorgt dafür, dass das Lernen nicht nur als notwendig, sondern auch als persönlich bereichernd und befriedigend empfunden wird. Eine Untersuchung des Zentrums für Organisationsentwicklung zeigte 2020, dass das ADKAR-Modell eine gezielte und strukturierte Veränderung in Organisationen ermöglicht. Die Untersuchung unterstützt unsere in einer Vielzahl von Veränderungs- und Befähigungsprojekten gemachte Erfahrung, dass die Bewusstseinsbildung sowie die Schaffung des Verlangens nach Wissen dabei die besonders erfolgskritischen Dimensionen sind.

Fassen wir zusammen

  • Für die Einführung von Prozessmanagement in großen Organisationen ist es wichtig, nicht nur Wissensvermittlung zu setzen, sondern Angebote zum Kompetenzaufbau für verschiedene Rollen in der Organisation zu entwickeln.
  • Die Entwicklung von Handlungskompetenz wird vor allem durch informelles Lernen ermöglicht. Eine Orientierung an Modellen wie dem 70-20-10-Lernmodell hilft dabei, bei der Qualifizierungsplanung ausreichend Raum für soziales Lernen und praktische Anwendung vorzusehen. Bei der Entwicklung von Handlungskompetenz kommt es nicht auf die Vollständigkeit der vermittelten Inhalte an, sondern auf praktische Problemlösung im Berufsalltag.
  • ADKAR hilft, die Gestaltung des Change Managements und den Kompetenzaufbau in Organisationen sinnvoll miteinander zu verzahnen, da es die intrinsische Motivation der Beteiligten stärkt, sich mit neuen Themen bzw. den anstehenden Veränderungen inhaltlich auseinanderzusetzen. Informelle Lernangebote ermöglichen, dass jede Person dies in der eigenen Geschwindigkeit und entsprechend der eigenen Lernpräferenzen tun kann.
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