Blogbeitrag von
Nikolaus Jacak, Senior Consultant, Cassini Consulting AG
Nikolaus Jacak
Senior Consultant
Sara Mari, Associate, Cassini Consulting AG
Sara Mari
Associate
Agile Führung
Führen in der Agilen Transformation

Die Bedeutung der disziplinarischen Führungskraft

Kennen Sie das Gefühl: Sie sind mitten in einer agilen Transformation oder haben die erste Phase abgeschlossen, erreichen allerdings die anvisierten Ziele nicht? Die Zusammenarbeit gestaltet sich nicht wie erhofft effektiver und effizienter. Die Unzufriedenheit sowie die Arbeitsüberlastung Ihrer Mitarbeitenden und Führungskräfte wächst mit jedem Tag. 
Mit diesem Beitrag geben wir Ihnen Einblick in mögliche Gründe und Konsequenzen des ausbleibenden Effektes der agilen Transformation. Und wir geben Ihnen Lösungsansätze an die Hand, die sich in Ihren Arbeitsalltag integrieren lassen, ohne das Organisationsmodell zu ändern oder eine erneute Transformation in die Wege zu führen. 

The greatest leader is not necessarily the one who does the greatest things. He is the one that gets the people to do the greatest things.

Ronald Reagan

Kleine Begriffsklärung

Aufgrund vieler Anglizismen sowie vielfach verfügbarer Definitionen des Begriffs „Führung“ schaffen wir zunächst ein Verständnis für die im Artikel verwendeten Begrifflichkeiten:

  • Führungskraft = Disziplinarische Führungskraft
  • Führungsrolle = Weitergefasster Rollenbegriff, welcher häufig mit koordinierenden bzw. Governance-Themen einhergeht
  • Leadership-Team = Gesamtheit aller Führungskräfte und -rollen

Wiederkehrende Herausforderungen und Schwachstellen

Beraterinnen und Berater werden in der Praxis häufig hinzugezogen, wenn die agile Transformation nicht den gewünschten Effekt mit sich bringt oder hinter den gewünschten Ziele zurückbleibt. Deutlich wird dies anhand folgender Situation, die sich in vielen unterschiedlichen komplexen Organisationsstrukturen vorfinden lässt. 

Ein Premium-Automobilzulieferer will die Ablauforganisation agiler gestalten, weshalb er eine umfassende Reorganisation sowie Implementierung eines Zusammenarbeitsmodells anstößt. Das Führungsmodell bleibt von der Restrukturierung unberührt. Der Product Owner beschäftigt sich mit stark operativen Themen, der Chief Scrum Master stimmt jede Entscheidung mit seinem Vorgesetzen ab und die Führungskraft will stets die Prozesse und Inhalte kontrollieren. Die gewünschten Effekte der agilen Transformation bleiben zunächst aus, bis diese schließlich zum Erliegen kommen. Bei genauerer Analyse fällt auf, dass Product Owner und Chief Scrum Master nicht gemeinsam mit der disziplinarischen Führungskraft über die Entwicklungsziele gesprochen haben, vor allem aber Verantwortlichkeiten und Mandate der neuen agilen Rollen seiner Mitarbeitenden ungeklärt sind. 

Diese Problematik lässt sich auch im Arbeitsalltag der Führungskräfte beobachten. Bei der reinen Implementierung agiler Arbeitsmodelle werden die Auswirkungen für die Aufbauorganisation und das Führungsmodell häufig nicht ganzheitlich betrachtet. 

Auf Basis des Use Cases sowie vielen ähnlich gelagerten Ausgangssituationen bei Kunden lassen sich folgende Schwachstellen identifizieren:

  • Fehlendes Verständnis für die notwendigen Fähigkeiten agiler Führungsrollen: Die agilen Führungsrollen und die damit notwendigen Fähigkeiten und Erfahrungen werden zu selten in den gängigen Frameworks sowie von agilen Coaches betrachtet. Insbesondere die Führungskräfte sind sich der Anforderungen einer agilen Arbeitsweise nicht vollumfänglich bewusst.
  • Unzureichende Entwicklungsmöglichkeiten: Im Rahmen der Transformation wurden Mitarbeitende mit neuen agilen Führungsrollen beauftragt, ohne einen Entwicklungspfad aufzuzeigen, wie sie sich die notwendigen Fähigkeiten aneignen sowie Mandate und Verantwortlichkeiten übernehmen können.
  • Unklare Definition notwendiger Kompetenzen der Führungskräfte: Es fehlen Leitlinien darüber, welche Fähigkeiten und Qualitäten insbesondere für die Führungskräfte notwendig sind, wie sie den Anforderungen im Rahmen einer agilen Transformation gerecht werden und die agilen Führungsrollen gezielt in Entscheidungsprozesse involvieren können. 

Die daraus resultierenden Effekte lassen die Transformation stagnieren. Die definierten Transformationsziele werden somit nicht erreicht und die Mitarbeitenden sind es häufig leid, das Wort „Agilität“ überhaupt zu hören.

Kipppunkte der Transformation

Treten diese Schwachstellen im Alltag einer agilen Transformation in den Konzernen auf, hat dies schwerwiegenden Konsequenzen: 

  1. Mitarbeitende werden unzufrieden: Eine falsche Zuordnung von Führungsrollen zu ihren tatsächlichen Verantwortlichkeiten und Fähigkeiten kann zu Frustration sowohl bei Führungskräften, neuen agilen Führungsrollen als auch bei den Mitarbeitenden führen. 
  2. Prozesse werden ausgebremst: Wenn die Qualifikationen und Erwartungen der neuen Rollen nicht mit den tatsächlichen Fähigkeiten übereinstimmen, führt dies unweigerlich zu Konflikten und der ausstehender Effizienzsteigerungen, welche durch eine agile Transformation erwartet wird.
  3. Es formiert sich Widerstand gegen Veränderungen: Der fehlende Abgleich der Fähigkeiten und Verantwortlichkeiten mit den neuen Rollen, kann dazu führen, dass Führungskräfte und Mitarbeitende in alten Arbeitsweisen verharren, selbst wenn Veränderungen notwendig oder vorteilhaft wären.

Schwachstellen und daraus resultierende Konsequenzen sind ursächlich dafür, dass agile Transformationen oftmals scheitern. Um diese Herausforderungen zu bewältigen, ist es notwendig, Führungskräfte und Mitarbeitenden in agilen Führungsrollen frühzeitig dabei zu unterstützen, sich in ihrer neuen Rolle einzufinden.

Typische Führungsrollen in skalierten Frameworks

In einem skalierten agilen Umfeld nehmen verschiedene Rollen einen erheblichen Einfluss auf die Gestaltung und Umsetzung einer erfolgreichen agilen Transformation. Nachfolgende Tabelle spiegelt die essenzielle Differenzierung agiler Führungsrollen in drei Hauptkategorien wider: methodische, inhaltliche und geschäftliche Rollen. Sie sind unverzichtbar für die Bewältigung der Komplexität und Skalierung von agilen Projekten und Produktteams in größeren Organisationen. Jede Rolle erfüllt eine spezifische Funktion und trägt dazu bei, die agile Transformation in einer koordinierten und effektiven Weise voranzutreiben. Eine zentrale und wesentliche Rolle wird in diesem Kontext nicht näher erörtert, aber immer wieder im Rahmen des agilen Leadership adressiert: die Führungskraft, welche in letzter Instanz den Rahmen setzt und damit zum wesentlichen Erfolgsfaktor wird.

Rollenübersicht im agilen Kontext

Warum der Einsatz einer Führungskraft so essenziell ist, um den Herausforderungen agiler Transformationen in der Praxis entgegenzuwirken, verdeutlich die Begriffsbestimmung „Leadership 4.0“ im Zuge der verfügbaren Führungsarten anhand des Full-Range-Ledership-Modells.

Leadership 4.0 

Führungskräfte im Konzernumfeld sind häufig gezwungen, verschiedene Führungshaltungen zu vereinen. Diese Tatsache ist u.a. den Umständen der VUCA-Welt [1] geschuldet, in denen Unternehmen agieren müssen. Hierbei ist die Adoption einer Führungskultur bzw. eines Mindsets unerlässlich, bei der Führungskräfte ihre Führungshaltung konstant hinterfragen und situativ ausrichten. Der Begriff Leadership 4.0 impliziert hierbei die Lenkung und Entwicklung der Unternehmen von analog in Richtung digital und agil. 

Arten der Führung

Das Full-Range-Leadership-Modell, welches von Bass und Avolio in den frühen 1990er Jahren entwickelt wurde, repräsentiert die verschiedenen Arten der Führung.[2] Der Fokus in diesem Beitrag liegt auf dem Transformationalen Führungsstil, welcher gleichzeitig die höchste Ebene im Führungsmodell im Zuge der aktiven und effektiven Führungshaltung repräsentiert. Dies gilt insbesondere für die disziplinarischen Führung. Transformationale Führung zielt darauf ab, die Werte und Einstellungen von Mitarbeitenden langfristig zu transformieren, hin zur Stärkung der intrinsischen Motivation, einer gemeinschaftlichen Zielerreichung und die Förderung der individuellen Entwicklung. 

Disziplinarische Führung

Die „vier I’s“ beschreiben die Anforderungen an eine transformationale Führung. Diese bringt entsprechende Fähigkeiten mit, eine agile Transformation erfolgreich zu begleiten und die Mitarbeitenden langfristig in die Lage zu versetzen, Verantwortung mitzutragen und die notwendigen Fähigkeiten sukzessive auszubauen.

Die vier I’s und Subdimensionen der transformationalen Führung

Die wichtigsten und insbesondere für eine agile (disziplinarische) Führungskraft notwendigen Aufgaben und Fähigkeiten haben wir aufgrund unserer langjährigen Erfahrung in Verbindung mit dem transformationalen Führungsstill wie folgt zusammengefasst:

Aufgaben und Fähigkeiten einer agile Führungskraft

Fazit 

Es ist von entscheidender Bedeutung, die für eine agile Organisation notwendigen Aufgaben und Verantwortlichkeiten des Leadership-Teams ganzheitlich zu betrachten und das hierfür notwendige Skillset gezielt zu entwickeln. 

Die Führungskraft bedarf einer besonderen Aufmerksamkeit. Sie gilt es im Rahmen einer agilen Transformation angemessen zu unterstützen und zu entwickeln. Führungskräfte mit disziplinarischer Verantwortung sollten sich stets bewusst sein, dass sich ihre Rolle in der heutigen und insbesondere agilen Arbeitswelt fortwährend verändert. Es wird immer wichtiger, sich einen transformationalen Führungsstil anzueignen, Verantwortung bzw. Aufgaben an Mitarbeitende zu übertragen, diese in Entscheidungsprozesse zu involvieren und sich vermehrt als Coach und Motivator zu verstehen.

In unseren Augen ist eine erfolgreiche agile Transformation nicht mit der reinen Implementierung eines agilen Zusammenarbeitsmodells gleichzusetzen, sondern als ganzheitlicher Organisationsansatz zu verfolgen. Deshalb hat Cassini für diese und viele weiteren Herausforderungen klare Definitionen, Leitlinien und Coaching-Programme für alle Führungsrollen entwickelt. Sprechen Sie uns an!

[1] VUCA beschreibt die Veränderungen der heutigen Welt. Das englische Akronym steht für Volatilität, Ungewissheit, Komplexität und Ambiguität.
[2] Bass/ Avolio, 1994, S. 5

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