Führungs(kraft)los im Wandel? Der Kompetenzkompass gibt Orientierung
Dass Führungskräfte ein zentraler Erfolgsfaktor für Transformationsvorhaben in Organisationen sind, ist nicht neu. In unserer Beratungspraxis haben wir dennoch beobachten müssen, dass insbesondere das mittlere Management im Change immer wieder vor großen Herausforderungen steht – trotz einer Vielzahl an bereits vorhandenen Ratgebern, Tools und Leitfäden. Was brauchen diese Führungsebenen also konkret, um eine Transformation sicher begleiten zu können? Um dies zu erfassen, haben wir ein Messinstrument entwickelt: den Kompetenzkompass für Führungskräfte im Change.
Wieso sind Führungskräfte im Change so wichtig?
Die Entscheidung für eine Veränderung und ihre Umsetzung in einem Change-Projekt fällt in der Regel auf der obersten Ebene der Organisation. Von dort aus muss sie dann die Gesamtorganisation durchdringen, um erfolgreich umgesetzt werden zu können. Durchdringen heißt vor allem: Alle Beteiligten verstehen, warum die Transformation notwendig ist, welchen Beitrag jede Person dafür leisten muss und – ganz wichtig – dass sie auch bereit sind, diesen zu leisten. Hierbei zeigt sich die Schlüsselfunktion der Führungskräfte: denn jede*r Mitarbeitende hat mit ihr einen Orientierungspunkt im unmittelbaren Arbeitsumfeld.
Dies ist aber nur eine der Anforderungen, die heutzutage an Führungskräfte gestellt werden. Das Umfeld vieler Organisationen – von Unternehmen wie auch der öffentlichen Verwaltung – ist volatiler geworden, komplexer, mit kürzeren Innovationszyklen. Von Führungskräften wird zunehmend erwartet, dass sie dieses Tempo mittragen und vermitteln, selbst agil und flexibel sind und immer den Erfolg garantieren. Und auch Mitarbeitende stellen rasch wandelnde, sehr individuelle Ansprüche an ihre Vorgesetzten: Sie wünschen sich Entwicklungsperspektiven und Gestaltungsspielraum, gleichzeitig Sicherheit und Orientierung. Wenn dann ein neues Veränderungsvorhaben gestartet wird, wird oft einfach angenommen, dass die Führungskräfte „das mit dem Change“ auch noch irgendwie hinbekommen.
Wie ermittelt der Kompetenzkompass, ob Führungskräfte den Change aktiv treiben können?
Führungskräfte werden nur dann zu aktiven Treibenden von Veränderungen, wenn sie über die notwendigen Fähigkeiten verfügen (z. B. Kommunikationsfähigkeit), wenn sie im Sinne des Change handeln wollen und wenn sie die für ihr Handeln nötigen Befugnisse und Freiheiten haben (z. B. Möglichkeiten der Priorisierung). Entlang dieser drei Dimensionen Können – Wollen – Sollen haben wir unseren Führungskräfte-Kompetenzkompass strukturiert und mit Verhaltensankern im Sinne der kompetenzorientierten Personalentwicklung hinterlegt. Diese ermöglichen eine Einordnung von beobachtbarem Verhalten. Um beispielsweise die Veränderungsaffinität (Dimension „Wollen“) von Führungskräften einzuschätzen, kann man hier festhalten, inwieweit sie Neuerungen in der Organisation in ihren Arbeitsalltag integrieren und ob sie andere motivieren, es ihnen gleichzutun.
Der entwickelte Kompetenzkompass ist damit kein Benchmark für die perfekte Führungskraft des 21. Jahrhunderts – auch weil wir glauben, dass es so etwas nicht gibt. Es geht vielmehr darum zu erfassen, welche Ressourcen für den Change in der Organisation bereits vorhanden und welche Bedarfe noch offen sind. Unser Kompetenzkompass kann darüber hinaus Richtungsgeber für die (Weiter-)Entwicklung der Führungskultur einer Organisation sein – auch losgelöst von einem spezifischen Transformationsprojekt.
Was unterscheidet den Kompetenzkompass von existierenden Change Readiness Assessments?
Wir haben den Kompetenzkompass auf Basis unserer Beratungserfahrungen entwickelt – mit dem Anspruch, ihn ebenso unmittelbar praktisch nutzbar zu machen. Dabei tragen wir dem Umstand Rechnung, dass Führungskräfte Teil einer Organisation sind und ihre Fähigkeit, Change zu treiben, nicht nur von ihrem Gutdünken abhängt, sondern von komplexen Faktoren. So mussten wir in Projekten immer wieder beobachten, dass Führungskräfte gar nicht, halbherzig oder zu spät in Transformationsprozesse eingebunden werden. Oft wird ihr Verhalten zu schnell oder zu undifferenziert gewertet oder Führungskräfte sollen pauschal durch Training „fit“ gemacht werden.
Genau hier setzt der Kompetenzkompass an: Er rekurriert nicht auf innere Einstellungen oder psychische Zustände, sondern macht beobachtbares Verhalten differenziert beschreibbar. Im idealen Einsatz ist er ein Instrument, das bereits in der Planung von Change-Vorhaben durch die übergeordnete Leitungsebene genutzt wird. Diese kann damit die betreffende Gruppe bzw. Ebene von Führungskräften betrachten: Wo liegen hier die Stärken und Schwächen? Wo müssen wir als oberste Leitung noch mehr Unterstützung bieten? Aber der Kompass kann auch bei schon laufenden Vorhaben und in verschiedenen Szenarien genutzt werden. Für die konkrete Durchführung gibt es verschiedene Möglichkeiten: anonymisierte Interviews, qualitative Fokusgruppen oder im Rahmen einer Führungskräfteklausur – je nach erwünschtem Fokus auf Einzelne, kleine oder größere Gruppen.
Das Ergebnis ist ein aussagekräftiges Profil der Führungsebene, auf dessen Basis bedarfsgerechte geeignete Maßnahmen abgeleitet werden können (Abbildung beispielhaft).
Was passiert nach dem Assessment – läuft die Transformation dann?
Ein ausgefülltes Kompetenzprofil ersetzt kein Change-Management, ebenso wenig wie ein Kompass einem das Reisen abnehmen kann. Dafür kann er eins richtig gut: die richtige Richtung weisen. Und zwar immer, wenn man draufguckt: vor Beginn der Reise, zwischendurch, kurz vor dem Ziel – oder auch, wenn man das Gefühl hat, man sei vom Weg abgekommen. Der Kompetenzkompass für Führungskräfte bietet eine Bestandsaufnahme, um das Change-Management für die Führung optimal ausgestalten zu können. Die Maßnahmenpakete, die sich dann daraus ableiten lassen, sind so individuell wie Change-Vorhaben und Organisationskulturen. Darüber hinaus ist die Auswertung ein optimaler Ausgangspunkt für Reflexion und die Auseinandersetzung mit Führungskultur innerhalb einer Organisation insgesamt. Der Kompass ist vor allem ein Instrument, um immer wieder die anspruchsvolle Gemengelage von Change-Prozessen zu reflektieren und sich der schwierigen Aufgabe der Verantwortlichen dabei bewusst zu werden. Und dann danach zu handeln.