Priorisierung dank Digitalisierungskonferenz
Boris van Benthem ist CIO der Stadt Oberhausen. Er setzt auf einen starken Schulterschluss mit den Fachbereichen, um Mehrwert für alle Akteure im Sozialraum Stadt zu bieten. Um das zu erreichen, berief er eine Digitalisierungskonferenz ein. Wie sich die Schnittstelle von IT und Fachbereichen in der Stadt Oberhausen darstellt, machte van Benthem in einem Interview mit uns deutlich. Es entstand im Zuge unserer CIO-Studie im Frühjahr 2021.
Herr van Benthem, wie würden Sie das Spannungsfeld zwischen IT und Fachbereich in der Stadt Oberhausen generell beschreiben?
Ich sage es mal so: Solange die IT funktioniert, gibt es kein Spannungsfeld. Natürlich merken wir, dass viel mehr von IT-Themen abhängig ist, als jedem unbedingt bewusst ist. Da sorgt eine Störung im städtischen Druckservice schnell zu mehr Störungsanfragen als ein Ausfall der Tele-Heimarbeitsumgebung. Gerade in Pandemiezeiten wird deutlich, dass wir andere Arbeitsweisen brauchen, wir müssen Dinge ortsunabhängig tun. Wir kommen an manchen Stellen wie im Gesundheitswesen zu Prozessen, die plötzlich massentauglich sein müssen und bei denen wir uns Gedanken über Effizienz machen müssen. Das sind ein paar neue Treiber des letzten Jahres für die Arbeit zwischen Fachbereich und IT. In den Fachbereichen wächst das Interesse und die Erkenntnis darüber, mehr digitalisierte Lösungen umzusetzen. Das heißt für uns in der Verwaltung dann auch, dass wir nicht nur unser originäres IT-Geschäft betreiben, sondern auch Bereiche wie Personal und Organisation immer mit im Boot haben. Dann gibt es auch viele Dinge, die mitbestimmungspflichtig sind. Es gibt also noch andere Player neben IT und den Fachbereichen, um am Ende zu einer vernünftigen Lösung zu kommen. Nehmen wir nur mal das Thema Datenschutz.
Inwiefern unterscheidet sich hier die Stadt Oberhausen von Wirtschaftsunternehmen?
Ich würde sagen, dass die Unterschiede wahrscheinlich gar nicht so groß sind. Es mag sein, dass in einem mittelständischen Wirtschaftsunternehmen die Entscheidungsprozesse schlanker organisiert werden und nicht ganz so viele Interessensgruppen an einem Tisch sitzen. Mit zunehmender Unternehmensgröße werden auch in der Wirtschaft Entscheidungsprozesse immer komplexer, da man natürlich viel arbeitsteiliger unterwegs ist. Um mal eine Größenordnung allein für die Stadt Oberhausen abzugeben: Wir reden von 2.500 Mitarbeitern, 25.000 Schülern und nochmals 2.000 Lehrern, denen wir IT zur Verfügung stellen. Das braucht Strukturen, die vergleichbar sind mit einem kleinen Konzern oder einem großen Mittelständler. Es ist also nicht viel anders, aber natürlich stehen wir in einem ganz anderen Fokus.
In einem Wirtschaftsunternehmen kann ich Dinge spätestens im Aufsichtsrat klären. Unser Äquivalent ist der Rat der Stadt, der ist immer öffentlich und nicht unbedingt frei von gewissen Machtkämpfen politischer Entscheidungsträger. Wenn wir uns Bottom-up beispielsweise um eine Fehlerkultur bemühen, dann endet das genau an dieser Stelle.
Ist Fehlerkultur ein Thema bei der Stadt Oberhausen, das sich entsprechend entwickeln sollte?
Auf jeden Fall. Natürlich darf man es nicht übertreiben. Es geht nicht um Marketingexperimente, um mehr Kunden auf eine Plattform zu bekommen, sondern letztlich um Leistungen, die verlässlich, sicher und vernünftig erbracht werden müssen, entlang des geltenden Rechts. Dafür muss eine Verwaltung stehen. Ich kann nicht so viel in diesen Prozessen ausprobieren und dann feststellen, dass Anträge nicht funktionieren und ich dadurch das Leben von vielen Menschen negativ beeinflusst habe. Aber Fehler wie beim Erschleichen von Corona-Förderungen darf man durchaus zulassen, wenn man entsprechende Sicherungsmechanismen einbaut, um eine gewisse Geschwindigkeit zu entwickeln. Das kann man auch im Nachgang noch heilen. Das Gleiche gilt für die Sofortausstattungsprogramme, mit denen wir viele Endgeräte in unsere Schulen bringen. Natürlich haben wir nicht alles bis hin zur Wartung durchspezifiziert, sondern uns auf einen gewissen Grad an Unschärfe eingelassen, den wir jetzt mit den Schulleitungen im kontinuierlichen Prozess ausmerzen müssen. Das ist neu.
Legen wir den Fokus auf die Zusammenarbeit von IT und Fachbereich. Da gab es sicher eine spannende Entwicklung auch bei der Stadt Oberhausen. Woran machen Sie sie fest und wie sollte sie sich in Zukunft entwickeln?
Ein großes Thema war, erst einmal einen Überblick zu bekommen darüber, was gemacht werden muss, um Digitalisierung voranzutreiben und IT-Projekte umzusetzen. Wir haben Anforderungen aus der Haushaltsplanung, aus technischen Projektlisten, Dokumenten und E-Mails der einzelnen Fachbereiche mal zusammentragen, um zu sehen, welches Projektportfolio wir vor der Brust haben. Ich glaube nicht, dass das von Erfolg gekrönt gewesen wäre, wenn wir das in der IT allein priorisiert hätten. Deswegen haben wir eine Digitalisierungskonferenz ins Leben gerufen und gemeinsam mit den Dezernenten am Tisch des Oberbürgermeisters entschieden, was aus der Gesamtsicht der Stadt die wichtigsten Themen sind. Das ist für mich das wesentliche und wichtigste Entscheidungsgremium, das wir haben. Entscheidend ist nicht, ob Projekte cool sind oder Spaß machen, sondern dass sie einen Mehrwert bieten, für die Bürgerinnen und Bürger, für die Gewerbetreibenden und alle, die in diesem Sozialraum Stadt irgendwie miteinander interagieren. Deshalb müssen wir diese Entscheidungen gemeinsam mit den Fachverwaltungen treffen und am Ende auch mit unserem Oberbürgermeister. So bekommen wir dann auch die Rückendeckung für die gesamte Organisation, uns auf bestimmte Themen zu fokussieren. Das heißt dann auch immer, bestimmte Themen nicht zu machen, weil man nur begrenzt viele Ressourcen hat. Das vergessen viele.
Zusätzlich zur Digitalisierungskonferenz bauen wir die Kommunikationskanäle zwischen der IT und den Fachbereichen immer mehr auf. Wir haben für jeden Fachbereich einen Digitalisierungspartner zugeordnet, der für ein Miteinander und eine Bindung sorgt. So lernen wir mehr über die konkreten Anforderungen. Andererseits können wir direkt auch mal mit einer Innovationsidee kommen oder Punkte bei der Serviceerbringung ansprechen, wenn vielleicht mal was im Argen liegt. Wir waren früher eher von der Kommunikation dieser Störungen getrieben. Das wandelt sich zu einer partnerschaftlichen Kommunikation, die viel zuträglicher ist, wenn man sich fragt: Was wollen wir gemeinsam erreichen?
In diesem Wandlungsprozess stecken wir noch, weg vom klassischen Dienstleister. Im nächsten Schritt werden wir in den Fachbereichen mehr Digitalkompetenz aufbauen. Diese IT-Koordinatoren oder Digitalisierungslotsen werden dabei helfen, im täglichen Miteinander Dinge besser zu machen, mehr Effizienz und Stringenz in die Prozesse zu bringen. Das ist auch ein Phänomen der Digitalisierung. Sobald wir anfangen, Prozesse digital abzubilden, muss der gesamte Weg beschrieben und vorbestimmt sein. Das ist sicherlich auch noch ein Spannungsfeld, was auftreten kann.
Unsere Befragungen zeigten, dass die IT zwar verstärkt als Dienstleister und Unterstützer wahrgenommen wird, nicht aber als Innovator. Wie würden Sie die Wahrnehmung der IT in der Stadt Oberhausen beschreiben? Und wie soll sich das in Zukunft verändern?
Ich denke, gerade dadurch, dass wir diese kontinuierlichen Kommunikationskanäle in Richtung der Fachbereiche aufbauen, werden wir automatisch mehr darüber reden, wie wir Dinge gemeinsam verändern. Wenn wir jetzt mit größeren Architekturkomponenten wie zum Beispiel der E-Akte bzw. E-Vorgangsbearbeitung um die Ecke kommen, werden wir die Fachbereiche noch mehr in die Pflicht nehmen. Der rechtliche Rahmen hat sich darüber hinaus mit dem E-Government-Gesetz und dem Online-Zugangs-Gesetz deutlich verändert. Wir wollen zukünftig eine komplexe digitale Landschaft zur Verfügung stellen. Die Fachbereiche sollten die neuen Chancen der Gestaltung wahrnehmen zu können.
Allein die Einführung eines Videokonferenzsystems hat jetzt dazu geführt, sich zu hinterfragen, an welchen Stellen der Kontakt zu den Bürgern in physischer Form wirklich wichtig ist.
Mit dem Bürgerbeteiligungsverfahren haben wir früher nur alte Menschen mit zu viel Freizeit erreicht. Jetzt, wo wir diese Veranstaltungen online per Videokonferenz durchführen können, erschließen wir uns ein ganz anderes Klientel, weil plötzlich auch Berufstätige mitwirken. Da haben wir etwas Neues kreiert, obwohl wir aus IT-Sicht nicht viel mehr als ein Standard-Tool zur Verfügung stellen. Das heißt, wir lösen Beschränkungen auf und Fachbereiche können plötzlich auch eigenständig innovativ an ihren Prozessen arbeiten. Dasselbe gilt für Bewerbungsgespräche, die jetzt auch entsprechend online laufen können. Vor der Pandemie hätte niemand gewagt, das zu tun.
In einem Wort zusammengefasst: Welche Rolle der IT würden Sie zukünftig durch diesen Wandel sehen?
Die als Partner.
Wodurch erreicht die Stadt den gemeinsamen Wissens- und Kompetenzaustausch und Aufbau zwischen IT und Fachbereich?
Im ersten Schritt dadurch, dass wir miteinander reden und ein Gefühl für die Problematiken des jeweils anderen entwickeln. Das lässt sich noch ausbauen bis hin zu Hospitationsmöglichkeiten. Damit fangen wir jetzt bei den Verwaltungs-Azubis an. Sie werden auch in die IT mit einbezogen. Andersherum wollen wir, dass auch IT-Azubis in die Fachbereiche gehen und dort mitarbeiten. Darüber hinaus entsteht auf Landesebene ein Ausbildungsprogramm zur Digitalisierungskompetenz. Das gucken wir uns gerade an und probieren es mit einer Teilnehmerin aus, wie wir mit einem Schulungsprogramm, vor allem auf Seiten der Führungskräfte in den Fachbereichen, mehr Digitalisierungskompetenz erlangen können.
Wie haben sich Digitalisierung und Pandemie als aktuell treibende Themen auf die Stadt Oberhausen und insbesondere auf die Ansprüche an die IT ausgewirkt?
Natürlich sind die Ansprüche an die IT deutlich gestiegen, natürlich auch dadurch, dass gewisse Fördergelder zur Verfügung gestellt werden. Auch die Möglichkeiten sind gestiegen. Fangen wir bei der Schule an, wo wir jetzt 6.000 mobile Endgeräte eingesetzt haben. Da verändert sich auch der Umgang mit solchen Dingen. Das geht weiter über Gesundheitsamt und Feuerwehr, die mit massenweiser Hardware, aber auch neuen Softwareprodukten ausgestattet werden mussten. Somit haben wir jetzt auch einen sehr hohen Digitalisierungsgrad in vielen Bereichen geschaffen. Wir haben Ende zu Ende digitalisierte Prozesse in der gesamten Kontaktnachverfolgung und das ist auch gut so. Wir haben die Tele-Heimarbeit-Lösungen massiv ausgebaut, von etwa 50 bis 100 Menschen auf rund 700. Damit haben wir ein ganz anderes Niveau erreicht. Hier und da scheitert es noch daran, dass vielleicht die ein oder andere Software nicht Citrix-fähig ist, um es in die Tele-Heimarbeit zu bringen. Dass wir solche Probleme haben zeigt aber auch, dass wir es damit ernst nehmen, das Ganze sicher und mit einem vernünftigen Datenschutz versehen gestalten wollen. Wir sind nur wenige Kompromisse eingegangen. Wir konnten sehr, sehr viele digitale Lösungen für die Stadtverwaltung umsetzen, mussten und müssen aber auch viel Engpass-Management betreiben. An jedem Tag ist irgendein anderer Lagerartikel aus, den wir dann wieder in den Zulauf bringen müssen. War es Ende letzten Jahres noch eine Herausforderung, 20 iPads an eine Schule zu bringen, haben wir jetzt eine Lieferung von 1.000 gekriegt und die Leute sagen: Ja okay, dann geben wir die in der nächsten Woche einmal an die Schulen weiter.
Die Pandemie hat den Themen also einen echten Schub gegeben. Auch unsere IT-Prozesse wurden deutlich in Richtung Effizienz getrimmt. Wo wir früher noch ein Blatt Papier ausgefüllt haben, um eine Erklärung vom Kunden aufzunehmen oder eine Freigabe zu erwirken, haben wir komplett auf digitale Prozesse umgestellt und unsere Arbeit zu großen Teilen automatisiert, um die Mengen, die jetzt ganz andere als vor der Pandemie sind, überhaupt bewältigen zu können.
Gibt es ein konkretes Projektbeispiel, bei dem die kombinierte Schlagkraft von IT und Fachbereich effektiv eingesetzt werden konnte?
Also ich würde die ganze Historie im Gesundheitsamt seit Pandemiebeginn heranziehen, wo wir es geschafft haben, bereits in den ersten Wochen eine sehr schlanke IT-Lösung zur Kontaktnachverfolgung bereitzustellen. Angefangen mit einem Excel, um die ganzen Leute in Quarantäne verwalten zu können, welches binnen einer Woche auf eine vernünftige Lösung mit einem Workflow basierten Tool umgestellt wurde. In der Interaktion zwischen dem Gesundheitsamt und der IT waren wir als eine der wenigen, wenn nicht sogar einzige Kommune in der Lage, schon sehr früh im letzten Jahr strukturierte Testungen in Altenpflegeheimen durchzuführen. So konnten wir Infektionen sehr früh erkennen, ihre Auswirkungen eindämmen und die Bewohner schützen. Das geschah auch im Zusammenspiel mit der Feuerwehr. IT-technisch haben wir ein System schnell aufgebaut und sind in der weiteren Professionalisierung wieder auf die hausüblichen Tools, die dann auch die Corona-Funktionalitäten nachprogrammiert hatten, zurückgeschwenkt. Das Migrationsprojekt zurück zur Standardlösung ist nicht reibungslos gelaufen, aber wir konnten in einem gemeinsamen Kraftakt alle Prozesse am Laufen halten. Es ist uns auch in dieser Umstellung gelungen, trotzdem noch Herr der Lage in der Pandemiebekämpfung zu bleiben.
Vielen herzlichen Dank für das Interview und die gewonnenen Eindrücke.
Boris van Benthem
Zur Person: Boris van Benthem ist seit Herbst 2019 CIO der Stadt Oberhausen und verantwortet dort den Bereich IT. Zuvor arbeitete er 17 Jahre lang als IT-, Organisations- und Prozessberater bei Cassini und Materna. Seine berufliche Laufbahn startete der Informatiker und Wirtschaftspsychologe zunächst als Softwareentwickler im Konzernumfeld.
Zum Unternehmen: Die kreisfreie Stadt Oberhausen liegt in der Metropolregion Ruhr und trägt den Beinamen Wiege der Ruhrindustrie. Rund 200.000 Einwohner leben und arbeiten in der Kommune, die mit Leuchtturmprojekten wie der Neuen Mitte Oberhausen den Strukturwandel hin zu einer modernen Dienstleistungsstadt vollzieht. Mit Wirtschaftsförderungs- und Digitalisierungskonzepten sowie einer engen Mitwirkung von Bürgern und Wirtschaft wird dieser Weg auch im Städteverbund beschritten.