IT und Fachbereich müssen fusionieren.
So die Vision von Burkhard Oppenberg, CIO des Gothaer Konzerns und Geschäftsführer der Gothaer Systems GmbH. Im Rahmen unserer Studie „Schnittstelle zwischen IT und Fachbereich“ führten wir mit ihm im Frühjahr 2021 ein Tiefeninterview und konnten Einblick nehmen in die agile Transformation des Versicherers.
Der digitale Wandel beeinflusst auch die Versicherungsbranche. Kunden möchten digital mit ihrem Versicherer in Kontakt treten. Wie reagiert die Gothaer auf diesen Trend und was sind Ihre diesbezüglichen Ziele?
Die Reaktion aller Versicherer ist, sich auch intern auf Digitalisierung einzustellen, um eine „Digital Readyness“ zu erreichen. Eine Kernaufgabe ist es, den eigenen Service konsequent digital zu machen. Die Gothaer investiert daher massiv in entsprechende Systeme, zum Beispiel in unser Data Warehouse und in Analytics. Wir schaffen „End-to-End Prozesse“, etablieren ein Multikanalmanagement für unsere Kunden und ein digitales Front-End. Stichworte sind Apps, Kunden-Apps und Portale.
Welche Herausforderungen sehen Sie aktuell und in den nächsten Jahren für die IT und welche Vorteile sehen Sie dabei in einem eigenständigen Inhouse IT-Dienstleister?
Wir sind sehr stark in den Konzern integriert, haben aber auch einige Freiheiten. Der Konzern investiert in erheblichem Umfang in die Digitalisierung. Vor diesem Hintergrund konnten wir in den vergangenen vier, fünf Jahren 150 neue Stellen schaffen. Wir beschäftigen jetzt 640 Vollzeitbeschäftigte. Darunter sind 40 Bacheloranten in Ausbildung. Das hätten wir in einer klassischen Konzernstruktur nicht gekonnt.
Ansonsten agieren wir wie eine interne IT-Abteilung. Bereiche wie Personal, Rechnungswesen oder Einkauf haben wir in die Konzernstäbe transferiert. Unsere Philosophie ist klar und hängt eng mit dem Modell des Business IT-Alignment zusammen: Wir sind ein integraler Bestandteil des Konzerns.
Unsere Befragung zeigt, dass die IT verstärkt als Dienstleister und Unterstützer wahrgenommen wird, nicht aber als Innovator. Wie würden Sie die interne Wahrnehmung der IT in der Gothaer beschreiben?
Unser Modell war lange das eines Servicecenters. Natürlich haben wir noch immer eine Servicefunktion, aber wir wollen darüber hinaus auch Enabler der Fachbereiche sein. Manche Vorstände wünschen sich, dass wir Challenger oder Taktgeber sind. Wir sehen uns allerdings weniger als Digitaleinheit, die andere Bereiche herausfordert.
In der Enabler-Rolle fühlen wir uns wiederum sehr wohl, diese wollen wir noch stärker ausfüllen.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen IT und Fachbereichen bei Ihnen in der Praxis?
Wir haben unsere IT-Teams im Sinne einer agilen Organisation so geschnitten, dass sie mit den Fachbereichen in kleinen Gruppen von acht bis zwölf Personen zusammenarbeiten – sortiert nach fachlichen Themen wie Kfz, Sach- oder Lebensversicherung. Parallel haben wir in der IT ein agiles Grundmodell eingeführt und agile Methoden trainiert. Auch im gesamten Gothaer Konzern setzen sich agile Arbeitsweisen immer stärker durch. Die wesentliche Veränderung liegt darin, die richtigen Leute zusammenzubringen – räumlich und in einem passenden Arbeitsmodus. Die Zusammenarbeit hat sich dadurch spürbar verbessert. Wir schließen gerade die Pilotphase ab und gehen in die„Transformation Agiler Organisation (TAO)“ über.
Wodurch wird Ihrer Meinung nach eine wertschöpfende Zusammenarbeit der IT und des Fachbereichs beeinflusst und was sind hierbei die kritischen Erfolgskriterien?
Die eigentliche Wertschöpfung liegt in der Qualität der direkten Zusammenarbeit. Den großen Mehrwert sehe ich in der Verbindung verschiedener Profile, technisch wie fachlich. Meine Vision ist daher, dass IT und Fachbereich gewissermaßen fusionieren. Im Inneren müssen wir komplett digital sein. Dafür gilt es, die historische Trennung von Fachbereich und IT aufzuheben. Wir brauchen Managerinnen und Manager, die beide Seiten verstehen und abbilden können, denn die Grenzen sind fließend.
Wie erfolgt im Gothaer Konzern die IT-Strategieentwicklung und wie binden Sie das Business in diesen Prozess mit ein?
Wir führen einmal im Jahr ein Update durch, was auch regulatorisch gefordert ist. Wir haben einen Prozess aus der IT selbst heraus, in dem wir Strategien für Cloud-Business, Integrationen, Plattformen und Datenbanken überprüfen und entwickeln. Darüber hinaus hat die IT im Strategieprozess des Konzerns einen essenziellen Bestandteil: Rund 80 Prozent der strategischen Investitionen fließen in die IT. Die Veränderungen in unserer IT-Strategie sind teils signifikant. Diese werden entsprechend formal dokumentiert und upgedated, dem Vorstandsteam zur Entscheidung vorgelegt und dem Aufsichtsrat zur Kenntnis gegeben.
Inwieweit wird die IT-Strategie im IT-Bereich kommuniziert?
Sehr transparent: Es gibt einen eigenen Bereich „IT-Strategie“ im Intranet. Wir haben einen Weekly-Call mit allen Teamleitern, Bereichsleitern und Projektmanagern; das sind zirka 100 Leute. Wir durchlaufen auch die Fachbereiche und reden konkret über ihre Ressourcen. Darüber hinaus binden wir die Wirtschaftsausschüsse der einzelnen Betriebsräte der Konzerngesellschaften mit ein.
Wie hat sich die Pandemie auf die Gothaer Versicherung und insbesondere auf die Ansprüche an die IT ausgewirkt und welche Erkenntnisse haben Sie daraus gewonnen?
Die Gothaer ist bisher sehr sicher durch die Krise gegangen. Das ist die entscheidende Nachricht. Wir waren schon nach einer Woche Lockdown komplett Home-Office-fähig und haben alle Kolleginnen und Kollegen mit modernen Geräten ausgestattet. Für diese Sonderinvestitionen hatten wir die volle Rückendeckung vom Vorstand.
Bei Themen wie hybridem, virtuellem Arbeiten, aber auch den Erwartungen von Mitarbeitenden an Infrastruktur und Technologien hat es einen massiven Push gegeben.
In der IT haben wir bereit vor drei Jahren eine Betriebsvereinbarung zum mobilen Arbeiten für alle Mitarbeitenden festgeschrieben. Damit ist das Arbeiten in Abstimmung mit dem eigenen Team von fast überall möglich. Aktuell sind wir in einem Pilotprojekt, das Mitarbeitenden ermöglicht, jederzeit ihre Arbeitszeit anzupassen. Das gilt für alle Lebenslagen – junge Familien, Menschen mit pflegebedürftigen Angehörigen, was immer die Gründe sind. Die Flexibilisierung des Arbeitslebens wird noch massiv zunehmen.
Eine weitere wichtige Erkenntnis ist, dass wir bei allem Wandel zusammenhalten und unsere gemeinsamen Ziele im Auge behalten müssen. In der Gothaer sprechen wir nicht umsonst von der „Kraft der Gemeinschaft“. Wie können wir im Sinne der agilen Transformation die fachliche Readyness ebenso erreichen wie die IT Readyness? Darauf versuchen wir, die richtigen Antworten zu finden.
Vielen herzlichen Dank, Herr Oppenberg, für das spannende Interview und die gewonnenen Einblicke.
Burkhard Oppenberg
Zur Person: Burkhard Oppenberg ist seit 2016 CIO des Gothaer Konzerns und Geschäftsführer des internen IT-Dienstleisters Gothaer Systems. Zuvor begleitete er als Partner für Financial Services bei Oliver Wyman und Roland Berger Digitalisierungs-, Transformations-, IT- und Kostensenkungsprogramme. Vor seiner Beratertätigkeit hatte Oppenberg verschiedene Positionen in der Banking-IT inne, so war er elf Jahre CIO der DZ Bank. Oppenberg hat Informatik und Betriebswirtschaftslehre studiert.
Zum Unternehmen: Der Gothaer Konzern gehört mit 4,1 Millionen Mitgliedern und Beitragseinnahmen von 4,6 Milliarden Euro zu den großen deutschen Versicherungskonzernen. 2020 feierte die Gothaer ihr 200-jähriges Bestehen. Mehr als 4.900 Mitarbeiter engagieren sich für Privatkunden und den unternehmerischen Mittelstand, um ihnen passende Versicherungslösungen sowie Risiko- und Finanzkonzepte anzubieten. Mit der Strategie Ambition25 schaltet die Gothaer nach einer Phase der Konsolidierung jetzt auf Wachstum um. Dafür sollen die vorhandenen Stärken ausgebaut und ein neues Kundenerlebnis geschaffen werden. Im Fokus stehen dabei der Mittelstand, Nachhaltigkeit, konsequente Digitalisierung, finanzielle Stärke und veränderungsfähige Teams.