„Digitalisierung ist keine Revolution, sondern ein konstanter Wandel.“
Dr. Moritz Karg leitet das Referat Grundsatzfragen der Digitalisierung und E-Government in der Staatskanzlei des Landes Schleswig-Holstein. Im Interview mit Cassini-Berater Julian Georg sprach er über die Einführung und den Charakter einer Digitalstrategie und bilanzierte erste Erfolgsfaktoren.
Schleswig-Holstein hat letztes Jahr eine Digitalstrategie veröffentlicht. Gleichzeitig gibt es schon länger ein „Digitalisierungsprogramm“, hinterlegt mit Haushaltsmitteln für Digitalisierungsvorhaben. Warum haben Sie sich entschieden, zusätzlich eine Digitalstrategie zu verfassen?
In einer heterogenen und sich stetig entwickelnden digitalen Welt ist es nicht ohne weiteres möglich, die beschränkten Ressourcen so zu verwenden, dass sie auch sinnvoll und eben strategisch eingesetzt werden. Die Ressourcen müssen dort eingesetzt werden, wo zwingender Entwicklungsbedarf besteht. Wir können nicht nach dem Motto handeln „Wer Geld ohne Ende hat, braucht sich um thematische Schwerpunktsetzung keine Sorgen machen“. Das ist in Schleswig-Holstein nicht der Fall, wir haben nur beschränkte finanzielle Ressourcen. Deswegen benötigen wir eine Strategie, die für uns als Land relevante Handlungsfelder im Bereich der digitalen Transformation definiert. Und genau das tut die Digitalstrategie.
Bei der Erarbeitung der Digitalstrategie haben Sie die Ressorts in einem umfangreichen Prozess beteiligt. Als Staatskanzlei sind Sie in Schleswig-Holstein auch zuständiges Ressort für die Digitalisierung. Wieso haben Sie die Digitalstrategie nicht einfach vorgegeben?
Jein. Als Staatskanzlei haben wir den sogenannten „digitalen Kompass“ vorgegeben. Dieser setzt sich aus der Vision und den digitalstrategischen Leitlinien zusammen. Diese beiden Elemente bilden den grundsätzlichen inhaltlichen Rahmen der Strategie. Ergänzend dazu haben wir das Vorgehensmodell für die Entwicklung und Fortschreibung der Strategie erarbeitet. Zugleich bieten wir im Rahmen des erwähnten Digitalisierungsprogramms Haushaltsmittel für die Umsetzung der entwickelten digitalstrategischen Ziele an.
Innerhalb dieses inhatlichen und prozessualen Rahmens übernehmen die Ressorts selbst Verantwortung für die digitale Transformation ihrer Fachlichkeit und definieren ihre eigenen digitalstrategischen Handlungsfelder und Ziele. Diese Ergebnisse haben und werden wir wiederum sichten, um daraus ressortübergreifende Ziele abzuleiten, die dann in die Gesamtstrategie einfließen.
Und wie war Ihre Erfahrung damit? War die Ressortbeteiligung ein Erfolgsfaktor?
Wir befinden uns gerade in dem Prozess, den oben genannten Rahmen weiterzuentwickeln. Ich glaube, der Erfolg wird sich erst zu einem späteren Zeitpunkt vollständig zeigen. Erst dann erkennen wir, wo wir wirklich zentral agieren können und über ressortübergreifende Hebel verfügen und wo wir andererseits den einzelnen Ressorts mehr Freiraum in der Entwicklung lassen müssen.
Zudem sehe ich es als Vorteil, dass die jeweiligen Fachbereiche der Ressorts in der Lage sind, einen eigenen Input zu liefern und sich mit den Inhalten und dem Prozess zu identifizieren. Denn so finden die strategischen Inhalte auch echte Unterstützung in den Ressorts.
Und deswegen ist es so wichtig, die Ressorts nicht nur an der Umsetzung, sondern auch an der Entwicklung der Strategie zu beteiligen.
Also ja, wenn Sie mich heute fragen, ist das Vorgehen schon ein Erfolgsfaktor für eine akzeptierte und gelebte Digitalstrategie.
Sie haben einen iterativen Prozess aufgesetzt und betonen, dass die Digitalstrategie niemals fertig ist, sondern per Design stetem Wandel unterworfen sein wird. Warum? Ist das nicht sogar ein Widerspruch zum klassischen Strategiebegriff?
Die Frage ist, welches Verständnis den Begriffen „Digitalisierung“ oder „Digitale Transformation“ zugrunde gelegt wird. Wenn es nur darum geht, Prozesse zu digitalisieren und Online-Dienste bereitzustellen, greift das viel zu kurz. Wir verstehen die digitale Transformation als einen sehr grundsätzlichen Wandel, der mehr als die technische Betrachtung von Digitalisierung beinhaltet. Wir sehen Digitalisierung als ein gesamtheitliches Querschnittsthema. Wir verändern mithilfe der technischen Möglichkeiten nicht nur die Arbeitsweise und -mittel der Kolleginnen und Kollegen und technischen Verfahren, sondern umfassend sämtliche Prozesse bis zur Entscheidungsfindung.
Diese Änderungen hören auch nicht mehr auf. Die Digitalisierung durchdringt sämtliche Handlungsbereiche der öffentlichen Verwaltung. Mit jeder technischen Innovation und Neuerung gibt es neue Anforderungen an die Prozesse, an die Arbeitsweise und an die Ausbildung der Kolleginnen und Kollegen. Deswegen sind wir der Überzeugung, dass die Digitalisierung keine Revolution ist, sondern ein konstanter Wandel. Und diesen Wandel aktiv zu gestalten, dafür braucht es eine Strategie und diese schreiben wir regelmäßig fort und passen sie dem Wandel an.
Zurück zu Ihrem Eingangsstatement, es ginge auch um Priorisierung von Ressourcen. Erschwert die iterative Weiterentwicklung der Strategie nicht die Priorisierung von Ressourcen?
Die öffentliche Verwaltung ist eine hochkomplexe und heterogen ausgestaltete Organisation, die nicht mit einem Mal von rechts auf links gedreht werden kann. Man muss schauen, an welcher Stelle der größte Handlungsbedarf ist und genau dort ansetzen.
Und dann gibt es Bereiche, bei denen der Handlungsdruck momentan nicht so hoch ist oder die aktuell depriorisiert werden können. Würden alle Themen auf einmal angegangen, bestünde die Gefahr an Stelle Ressourcen einzusetzen, die dort aktuell nicht benötigt werden – oder woanders viel mehr bewirken könnten. Manche Themen erledigen sich manchmal auch von selbst. Daher sollte man Dinge nach und nach angehen und nicht alles auf einmal. Trotzdem ist es zwingend, kontinuierlich zu analysieren und zu bewerten, ob aus den Erfahrungswerten oder empirischen Erkenntnissen neue Handlungsfelder entstehen – ob sich das Bild also ändert. Dann muss man in der Lage sein, strategische Ziele und den Ressourceneinsatz dahingehend anzupassen. Das ist für mich ein Erfolgsfaktor, kein Defizit von digitalstrategischer Steuerung.
Sie nehmen an unserem Best-Practice Dialog auf dem Zukunftskongress 2024 teil. Dieser steht unter dem Titel „How to Digitalstrategie: Vom politischen Papier zur handlungsleitenden Strategie“. Was ist aus Ihrer Sicht ein Kernelement einer handlungsleitenden Digitalstrategie, die die Menschen zur Umsetzung befähigt?
Ich glaube nur ein Kernelement gibt es nicht. Aber das maßgebliche an unserer Strategie ist, dass wir beim Schreiben schon das konkrete Ziel mitdenken und sagen: Es muss erreichbar sein! Ein Beispiel: Wenn wir sagen: „In 20 Jahren gibt es in 50% der öffentlichen Verwaltung nur noch den Einsatz von KI, die die Arbeit von Menschen übernimmt“ wäre das sicher kein handlungsleitendes Ziel. Das kann man sich zwar in eine Strategie schreiben, aber dieses Ziel ist so weit weg und zu unkonkret. Das ist nicht handlungsleitend, es löst keinen Druck aus. Also: Beim Schreiben das Ziel vor Augen haben und machbare, realistische und dennoch ambitionierte Ziele verfassen.
Vielen Dank für das Gespräch und ich freu mich auf den Austausch auf dem Zukunftskongress!
Dr. Moritz Karg
Zur Person: Dr. Moritz Karg ist seit 2018 Mitarbeiter der Staatskanzlei des Landes Schleswig-Holstein, seit 2019 Leiter des Referats Grundsatzfragen der Digitalisierung und E-Government. Karg verantwortet die Entwicklung und Umsetzung der Digitalstrategie des Landes und die ressortübergreifende strategische Koordination. Im Kontext des OZG leitet er die landesweite operative Umsetzung sowie die Steuerung der Verpflichtungserfüllung im OZG-Themenfeld Umwelt nach dem EfA-Prinzip. Darüber hinaus ist er für Strategie, Entwicklung und Betrieb der E-Government-Infrastruktur verantwortlich.
Zur Staatskanzlei Schleswig-Holstein: Die Staatskanzlei ist das Ministerium des Ministerpräsidenten. Hier wird die Arbeit der Landesregierung koordiniert, so auch das zentrale IT-Management. Dieses ist verantwortlich für ressortübergreifende Grundsatzfragen der Informationstechnik der Landesverwaltung. Neben der Verantwortung für die IT-Gesamtstrategie mit Schwerpunkt E-Government, das Finanzmanagement des zentralen IT-Budgets sowie das IT-Controlling und die IT-Gremien nimmt das zentrale IT-Management die Verfahrensverantwortung für übergreifende IT-Lösungen der Landesverwaltung sowie für weitere Standard IT-Lösungen wahr, die entweder von Land und Kommunen oder länderübergreifend gemeinsam genutzt werden.
Referenz: Neue Digitalstrategie für Schleswig-Holstein
Cassini ist seit 2023 bei der Erstellung und Verankerung einer Digitalstrategie für das Land Schleswig-Holstein beratend aktiv. Ziel war und ist es, den Herausforderungen der digitalen Transformation leistungsfähig und bürgerorientiert über alle Politikfelder hinweg zu begegnen und diese aktiv zu gestalten. Die Tätigkeiten umfassen eine koordinierte Ressortunterstützung, die iterative Erarbeitung der landesweiten Digitalstrategie sowie die Etablierung geeigneter Change-Management-Prozesse und Kommunikationsformate.