Kein langer Ticket-Pingpong.
Als Head of IT begleitet Antje Günther das schnelle Wachstum des Digitaldienstleisters diva-e Digital Value Excellence GmbH. Ihre Aufgabe war und ist die technische Integration aller Firmen und eine optimale Leistungserbringung. Mit Antje Günther führten wir im Rahmen unserer Studie „Schnittstelle zwischen IT und Fachbereich“ im Frühjahr 2021 das folgende Tiefeninterview.
Die IT-Abteilung der diva-e als stark wachsendes Beratungsunternehmen hat sicherlich in der Zusammenarbeit mit dem Business eine entsprechende Entwicklung mitgemacht. Wie würden Sie diese beschreiben?
Als ich vor fast vier Jahren zur diva-e kam, war die IT noch sehr lokal aus den Standorten heraus getrieben und auch das IT-Team war noch keine Einheit. Die Herausforderung war also ein Team aufzubauen, welches gut zusammenarbeitet, sich vertraut und ein gemeinsames Ziel vor Augen hat, trotz der physischen Trennung. Parallel dazu galt es eine Bestandsaufnahme zu machen, welche Systeme gibt es, wie ist das lokale IT Set-up und wo wollen wir hin wenn wir zum Enabler werden wollen. Über die Zeit haben sich dann Projekte herauskristallisiert, wie wir die Zentralisierung, Standardisierung und Automatisierung der IT-Systeme vorantreiben. Das ist ein fortlaufender Prozess, langweilig wird uns da also nicht.
Inwieweit hat sich diese Zentralisierung auf die Zusammenarbeit mit dem Fachbereich ausgewirkt?
Als Dienstleistungsunternehmen haben wir nicht unbedingt die klassischen Fachbereiche. Bei uns gibt es die Servicebereiche wie Finance, HR, Marketing, IT. Die Fachbereiche selbst sind bei uns dann eher in Kunden-Projektteams organisiert.
Hier ist es gar nicht so leicht, die Anforderungen aus den Projektteams auf eine zentrale Ebene zu bringen, da diese oft sehr projektspezifisch sind, also sehr individuell. Das ist ein ziemlicher Balanceakt, da bei unserer Unternehmensgröße Individualität und Standardisierung eine gute Mitte finden müssen.
Mit den anderen Servicebereichen ist es etwas einfacher, da wir ähnliche Herausforderungen haben und Prozesse sehr oft ineinandergreifen. Die Schmerzen sind also ähnlich, wenn es um Standardisierung oder verteilte Teams geht, dadurch ist es etwas einfacher Anforderungen zu definieren, die gesamtunternehmerisch wirksam sind. Wir machen sozusagen die gleiche Reise.
Wie sehen Sie das Spannungsfeld zwischen IT und Fachbereich bei der diva-e?
Wie weiter oben bereits angedeutet sind die klassischen Fachbereiche bei uns anders aufgestellt. Wenn wir über Spannungsfelder im Unternehmen sprechen, denke ich da eher an die verschiedenen Firmen, aus denen sich die diva-e gegründet hat bzw. die im Laufe der Zeit noch dazugekommen sind. Die einzelnen GmbHs haben teilweise sehr unterschiedliche Ansätze bzw. auch Historien. Da ist u.a. ein Datacenter Provider dabei, mit einem sehr technischen Mindset, oder eine SEO [Suchmaschinenoptimierungs]-Agentur oder aber auch eine klassische E-Commerce Web-Agentur. Die größte Herausforderung ist dann gar nicht immer die Technik, eher die verschiedenen Unternehmenskulturen, die sich etabliert haben. Sichtbar ist das u.a. bei den Softwarelösungen, die im Einsatz sind oder generell die Arbeitsprozesse. Diese Transformationsprozesse aus IT-Sicht zu begleiten, ist nicht immer einfach. Da müssen wir bestimmte Tools hinterfragen, vereinheitlichen und Prozesse im Sinne des Gesamtunternehmens verändern, da gibt es auch Widerstände, die es ernst zu nehmen gilt.
Aus der IT heraus leisten wir aus meiner Sicht einen wertvollen Beitrag, den Kulturwandel für die Kollegen etwas einfacher zu machen, in dem wir technische Veränderungen gut erklären, die Leute mitnehmen und auch mal aushalten, unangenehme Entscheidungen zu treffen und umzusetzen.
Gibt es zwischen der IT und dem Fachbereich auch echte Spannungen, die man lösen muss?
Ja, auf jeden Fall, aber auch die sind entweder kulturgetrieben oder es liegt an ganz unterschiedlichen Kundenforderungen der Fachbereiche. Bei unseren Lösungen können wir uns nicht am einzelnen Team oder individuellen Kunden orientieren, sondern müssen das Gesamtunternehmen betrachten. Das erzeugt auch mal Reibung und Frustration, die sich dann beim Customer Support oder User Support bei uns im Haus entlädt.
Die Zentralisierung bringt eben viele Veränderungen und auch Unsicherheiten mit sich und das muss gut gemanagt werden. Das würde ich aktuell als die größte Herausforderung sehen.
In unserer Umfrage haben wir festgestellt, dass die IT eher als Dienstleister und Unterstützer gesehen wird, weniger als Innovator und Enabler. Wie ist aktuell die Wahrnehmung bei der diva-e und wie sollte sie sich in Zukunft verändern?
Mittlerweile ist die Wahrnehmung wesentlich besser als ich im Jahr 2017 angefangen habe. Damals sind wir gefühlt immer hinterhergelaufen. Wir mussten viel Überzeugungsarbeit für neue Infrastruktur und Standardprozesse leisten und Widerstände auflösen. Bei allen Wünschen ging es immer darum, alles in einem Bild zusammenzufügen. Seit gut einem Jahr wandelt es sich. Es geht nicht mehr allein um die Stabilität von IT-Systemen, Modernisierung von Infrastruktur oder Migrationen von Altsystemen. Wir können jetzt strategischer darüber nachdenken, was wir brauchen, wie wir eine skalierbare IT schaffen. Jetzt können wir mit Projektteams ins Gespräch gehen und fragen, was sie brauchen, um einfacher zu arbeiten. Wir können in unseren „Come-Togethers“ (da kommen alle Mitarbeiter zusammen) vorstellen, was wir in den nächsten drei bis sechs Monaten vorhaben und warum. Der Shift in die Proaktivität hat meinem Team und unserem Stellenwert im Unternehmen sehr gutgetan.
Wie hat sich die Corona Pandemie auf das Unternehmen und die Ansprüche an die IT ausgewirkt. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Wir hatten den großen Vorteil, dass wir sehr gut vorbereitet waren und unsere Infrastruktur schon auf mobiles Arbeiten ausgerichtet war. Von Tag 1 an konnte jeder Mitarbeiter einfach aus dem Homeoffice weiterarbeiten. Rein technisch war das kein Problem. Was im Tagesgeschäft zugenommen hat, sind die vielen Anfragen im User Support. Da fragt man nicht mehr untereinander oder googelt nach einer Lösung, auch bei simplen Problemen. So paradox es klingen mag, haben wir im Team dennoch mehr Zeit, um Projekte voranzutreiben. Es könnte daran liegen, dass mein Team schon immer ein Remote-Team war und auch, dass weniger Kollegen bei Problemen direkt am Schreibtisch stehen, sondern Gebrauch von den zentralen Supporttools machen, die wir etabliert haben. Ich glaube auch, dass die Mitarbeiter mittlerweile mehr Vertrauen in die IT haben, dass wenn sie eine Supportanfrage aufmachen, diese auch zeitnah beantwortet wird.
Kommen wir noch einmal auf die Integration der unterschiedlichen Organisationen und Kulturen und die damit verbundenen Herausforderungen für die IT zurück. Was war erfolgskritisch?
Wir haben anfangs drei oder vier Firmen dazu genommen und zunächst war es tatsächlich so, dass die IT ein bisschen vergessen wurde. Dann mussten z.B. sehr schnell Mailadressen umgestellt, Alt-Systeme abgelöst und migriert werden. Das hat sich in den letzten zwei Jahren geändert, weil ich mehr Sichtbarkeit im Unternehmen erzeugt habe und sozusagen meinen Fuß in die Tür gestellt habe. Seitdem bin ich früh in mögliche Akquisitionen involviert, weiß von Due Dilligence-Aktivitäten und um die Planung für die Integration. Es war sehr wichtig, das Bewusstsein dafür zu schaffen, dass bei Firmenzukäufen IT-seitig einiges dranhängt.
Wenn wir Firmen für Zukäufe aussuchen, achten wir darauf, dass sie kulturell zu uns passen. Von daher gelingt es uns immer gut, die IT-Kollegen aus diesen neuen Firmen schnell ins Team zu integrieren und arbeitsfähig zu machen. Sie können dann wiederum gut als Multiplikator agieren und die anderen „neuen“ Kollegen unterstützen und Ängste vor den Veränderungen zu nehmen.
Wie gehen Sie bei der Integration konkret vor, wenn es um Unternehmenszusammenschlüsse geht?
Es passiert oft auf zwei Ebenen. Die eine ist die technische, es geht um Fragen wie: Was ist an Tools vorhanden? Was müssen wir ablösen? Wie müssen wir ein bestehendes Active Directory bei uns anbinden, E-Mail-Migration etc. Das andere ist der schnelle Kontakt zur Geschäftsführung, um frühzeitig abzuklopfen, wie offen die Unternehmen sind eigene Tools und Infrastruktur in die die diva-e Infrastruktur zu migrieren und sich von eigenen Prozessen etc. zu trennen, das klassische Change-Management sozusagen.
Die Tendenz ist erst einmal, alles in der Firma zu behalten. Da müssen wir behutsam vorgehen und auch zulassen, dass es mal etwas länger dauert, bis IT-Themen „abgegeben“ werden. Die Integration der IT-Kollegen geht immer relativ schnell. Die IT-Kollegen wechseln ins zentrale IT-Team und lernen so die Strukturen der diva-e kennen. Wichtig ist mir, dass wir schnell gute Beziehungen untereinander knüpfen und dass die neuen Kollegen Ideen davon entwickeln, wie die Prozesse angegangen werden. Wir informieren früh über anstehende Veränderungen, bieten Sessions für Fragen an, gehen transparent mit Themen um, um Ängste zu nehmen.
Mit Blick auf Standardisierung und Automatisierung: Welche konkreten Maßnahmen haben Sie implementiert?
Wir haben recht früh bemerkt, dass wir den Mitarbeitern ein Tool an die Hand geben müssen, um als One-Company zusammenzuwachsen. Viele unserer Kundenprojekte wurden bereits Standort- und firmenübergreifend bearbeitet und wir hatten damals noch x-verschiedene Chat- bzw. Kollaborations-Tools im Unternehmen. Es war daher sehr unübersichtlich für die Teams und Kommunikationswege waren teilweise umständlich und langwierig Wir haben uns dann im Auswahlprozess für Microsoft 365 entschieden was uns ermöglichte, auch neue Kollegen schnell zu integrieren.
Parallel dazu haben wir einen einheitlichen Helpdesk-Prozess aufgesetzt und die Kollegen daraufhin trainiert. Wir haben uns in agilen Teams organisiert, KPIs definiert und arbeiten stetig am Thema Security (MFA, ISMS usw.). Ein weiteres Automatisierungsthema ist beispielsweise die Softwareverteilung mittels Intune oder sog. Autodeployments für die Betankung von Laptops aus der Ferne, was den Zeitaufwand für alle Beteiligten stark verkürzt, vor allem im Hinblick auf das weitere mobile Arbeiten.
Welche kritischen Erfolgsfaktoren sehen Sie für eine wertschöpfende Zusammenarbeit von Fachbereich und IT und wie wichtig sind dabei Kultur und Verständnis?
Ich würde sagen, Kultur und Verständnis sind das Wichtigste Gut, damit steht und fällt alles. Entscheidend ist aber auch, dass die IT sichtbar ist und auch am Puls der Zeit agiert, um ihre Relevanz zu vermitteln. Wir haben viele IT-Kollegen, Developer und auch Systemadministratoren auf Kundenseite, die sich intensiv mit ihren Themen beschäftigen und einen hohen technologischen Standard wünschen. Da müssen wir als IT Treiber sein. Zudem bedarf es Leadership, die Mitarbeiter dazu zu motivieren, aus sich herauszugehen. Ich freue mich, dass es mir bei meinem Team gelungen ist.
Man braucht das Gespür für den Menschen, was sie bewegt und antreibt. Und dann lassen sich Lösungen am besten im Gespräch entwickeln.
Die notwendigen IT-Kompetenzen zur Erfüllung von den Arbeitsaufgaben werden sich in Zukunft ändern. Bei den Beratern aber auch im IT-Bereich. Wie reagieren Sie darauf?
Ich würde sagen wir sind da sehr gut dabei. Unsere HR-Abteilung setzt sich permanent mit den Angeboten auseinander, um unsere Mitarbeiter „fit“ zu halten, wie z.B. bei der Frage: Wie können sie sich weiterentwickeln, technologisch, aber auch im Bereich Leadership? Hier gibt sich die diva-e viel Mühe. Auch Kundenanforderungen steigen permanent. Die Kunden wissen, was sie wollen, und darauf müssen wir schnell reagieren können. Ein Tandem-Team aus IT und Berater wäre z.B. noch ein Schritt, den ich ausbauen möchte, um konzeptionelle Fragen anzugehen oder einfach mal was auszuprobieren. Auch im Kontext der Sichtbarkeit. Das hängt tatsächlich zusammen. Ich habe als Head of IT immer meine Außenbrille und sehe das gesamte Unternehmen. Je transparenter und proaktiver wir werden, umso mehr Vertrauen ist da und umso mehr kommt man auch in die Zusammenarbeit von Fachbereich und IT. Und die lebt vor allem durch gute Kommunikation. Kein langer Ticket-Pingpong, sondern sich zusammensetzen und diskutieren ist hier mein Credo. Wenn wir eine größere Umstellung machen, bilden wir z.B. ein Testteam aus verschiedensten Unternehmensbereichen, um die Kollegen „mitzunehmen“. Das bringt uns alle weiter.
Vielen Dank Frau Günther für die exklusiven Einblicke in die IT der diva-e.
Antje Günther
Zur Person: Antje Günther verantwortet seit 2017 die diva-e Business Unit IT. Neben dem Aufbau und der Entwicklung ihres Teams, liegt ihr Fokus auf der technischen Integration aller Firmen der diva-e Gruppe. Ihr Anspruch ist es, das Unternehmen durch Standardisierung und Automatisierung aller IT-Prozesse infrastrukturell skalierbar, performant und zukunftssicher aufzustellen. Günther verfügt über eine langjährige Erfahrung in der Projektleitung für große Softwareprojekte und kennt die Herausforderungen schnell wachsender Unternehmen und deren Bedarf nach stetiger digitaler Transformation.
Zum Unternehmen: Als Deutschlands führender Transactional Experience Partner (TXP) schafft die diva-e Digital Value Excellence GmbH digitale Erlebnisse, die Kunden begeistern und Unternehmen nachhaltig voranbringen. Mit mehr als 20 Jahren Erfahrung im digitalen Business deckt das Unternehmen die digitale Wertschöpfungskette von Strategie über Technologie bis Betrieb vollständig ab. Die diva-e hat sich 2016 als Agenturverbund formiert und ist auch durch weitere Fusionen zum größten Digitaldienstleister Deutschlands mit 800 Digitalexperten an zwölf Standorten gewachsen.