Bezugsstrategien – Geschäftsbeziehung auf Zeit vs. Kraft der Vielfalt
Je nach identifiziertem Bedarf, Risikoaffinität des Auftraggebers und Angebot am Markt kann eine Single-Vendor- (auch im Sinne eines Generalunternehmers) oder eine Multi-Vendor-Strategie verfolgt werden. Im ersten Fall ergibt sich aufgrund des Single Point of Contact zum Dienstleister eine stringente Steuerungsbeziehung (geringe Komplexität). Mit jedem weiteren beauftragten Dienstleister nimmt jedoch die Steuerungskomplexität zugunsten einer breiteren Risikostreuung zu.
Single- vs. Multi-Vendor-Strategie
Im Rahmen der Betrachtung von Steuerungsaspekten in Bezug auf Dienstleister (bspw. externe Berater:innen) lassen sich Hebel aus der Bezugsstrategie ableiten. Bedarfsträger der öffentlichen Verwaltung sind gesetzlich angehalten, Beschaffungen von Dienstleistungen (oder Waren) ab bestimmten Schwellwerten deutschland- oder sogar europaweit auszuschreiben. Bevor eine Beschaffung angestoßen wird, ist es sinnvoll, eine Bezugsstrategie gemäß den Organisationszielen zu formulieren und die Ausschreibungen analog zu gestalten. Für die öffentliche Verwaltung sind hier Rechtskonformität, Wirtschaftlichkeit, Wettbewerbsneutralität, Transparenz und Verfügbarkeit sowie seit kurzem Aspekte der Nachhaltigkeit und der digitalen Souveränität die wichtigsten Ziele. Es lassen sich hierbei zwei wesentliche Bezugsstrategien unterschieden: Single- und Multi-Vendor-Strategie.
Single-Vendor-Strategie: Dienstleistungen werden bei der Einzelquellenbeschaffung von einem einzigen Anbieter bezogen. Dies bedeutet einen stringenten Beschaffungsvorgang (Koordination, Automatisierung) und entsprechende Volumina ggf. Skaleneffekte und Rabatte. Beschaffungsvorgänge, auch im Rahmen von mehrjährig abgeschlossenen Rahmenverträgen, zielen auf mittelfristige und stabile Geschäftsbeziehungen „aus einer Hand“, welche Kontaktaufnahme, Zugriff und Steuerbarkeit vereinfachen. Auch ein Generalunternehmer-Modell kann hierunter subsumiert werden, welches eine Mehrquellenbeschaffung auf ein Vertragsverhältnis verdichtet, in dem der Generalunternehmer die Leistungserstellung steuert und sich dies durch Risikoaufschläge oder Provisionen entlohnen lässt. Auf der anderen Seite ergibt sich eine hohe Abhängigkeit zum Dienstleister, welche sich im Fall von Personalausfällen oder Engpässen für spezialisierte Kompetenzprofile nicht ohne Weiteres zeitnah kompensieren lässt. Dies gefährdet unter Umständen die Arbeitsfähigkeit einer Behörde.
Im Rahmen der Multi-Vendor-Strategie werden Dienstleistungen mehrerer Anbieter in Anspruch genommen. Dies führt in der Regel zu hoher Liefersicherheit und verhindert Engpässe in Bezug auf Personal und spezialisierte Kompetenzprofile. Durch den Wettbewerb unter den Anbietern lassen sich ggf. günstigere Preise erzielen. Hier ist auch eine bessere Skalierbarkeit der Leistungserstellung aufgrund der größeren Dienstleistungskapazität anzunehmen. Nachteilig ist, dass im Einkauf deutlich mehr Aufwand für die Koordination anfällt. Die Beschaffer müssen Kontakt zu mehreren Dienstleistern halten und ggf. regelmäßig die Preise vergleichen. Außerdem könnte es sich schwieriger gestalten, Rabatte auszuhandeln, wenn nur kleine und unregelmäßige Mengen abgenommen werden.
Vor- und Nachteile der Bezugsstrategien
In mehreren Dimensionen ergeben sich aus der jeweiligen Bezugsstrategie mit Blick auf spätere Steuerungsaufwände (Vertrag, Kommunikation, Qualität) in der Vorbereitungs- und Umsetzungsphase Vor- und Nachteile. Der Aufwand für den Beschaffungsprozess an sich ist im Single-Vendor-Szenario wesentlich geringer. Aus einer Ausschreibung geht ein Vertragsverhältnis, welches die Dienstleistung beschreibt, hervor. Hierbei steht nur ein Dienstleister je nach Vertragsart für etwaige Garantien, Mängelbeseitigung (bei Gewerk), Service und Support (bei anschließenden Betriebsleistungen) ein. Demgegenüber müssen bei einer Mehrquellenbeschaffung mehrere Verträge geschlossen und überwacht und entsprechend viele Kommunikationsbeziehungen während der Umsetzung gepflegt werden. Etwaige Haftungsfragen müssen bei der Mehrquellenbeschaffung je Vertrag einzeln durchgesetzt werden, was die (Verwaltungs-)Aufwände für den Auftraggeber erhöht.
Bestellt die Verwaltung komplexe IT-Leistungen aus einer Hand, geht dies ggf. auf Kosten der Qualität. In der Regel können breit aufgestellte Vollsortimenter, bspw. Systemhäuser, nicht alle Leistungen (bspw. IT-Security, IT-Projektmanagement, spezialisierte Beratungsleistungen) in voller Fertigungstiefe abbilden. Hier sind mehrere, auf einzelne Aspekte von IT-Vorhaben spezialisierte Dienstleister im Vorteil. Sie realisieren auf ihrem Spezialgebiet hohe Qualität bei hoher Fertigungstiefe. Dies geht jedoch mit höheren Steuerungsaufwänden einher. Insofern muss ein öffentlicher Auftraggeber Aspekte der direkteren Steuerung ggf. gegen ein geringeres Qualitätsniveau abwägen.
In Sachen Kommunikationsbeziehungen ist die Single-Vendor- der Multi-Vendor-Strategie überlegen. Ein Ansprechpartner, eine singuläre Eskalationshierarchie und meist wenige Schnittstellen sind Voraussetzungen für direkten Steuerungszugriff des Auftraggebers auf den Vertragspartner. Bei mehreren Vertragspartnern skaliert die Anzahl der Kommunikationsbeziehungen um den Faktor der beauftragten Vertragspartner – Komplexität ist die Folge. Die Aufwände zur Bändigung der Komplexität fallen in der Regel beim Auftraggeber an, der die Aktivitäten zahlreicher Dienstleister, die in der Regel eigene, mitunter divergierende, Interessen verfolgen, koordinieren muss.
Der Mittelweg - Modularisiertes Multi-Vendor-Modell
Ein zunehmend etablierter Mittelweg ist die „modulare“ Beschaffung. Im produzierenden Gewerbe wird unter Modular Sourcing die Beschaffung von Zwischenerzeugnissen oder „Modulen“ wie bspw. einer kompletten Pumpe im Gegensatz zur Beschaffung und Montage von Einzelteilen verstanden. Angewendet auf Dienstleistungen bedeutete dies, Leistungen bestimmter Disziplinen von verschiedenen Anbietern in Paketen zu beziehen. Für öffentliche Auftraggeber ist es hier von Vorteil, wenn sie sich auf die eigenen Kompetenzen konzentrieren können und ggf. notwendige Ressourcen zukaufen. Durch die Modularisierung ist es möglich, die Anzahl der Dienstleister und damit den Steuerungsaufwand zu reduzieren. Des Weiteren lassen sich der Bezug der Dienstleistung zeitlich eingrenzen und damit Steuermittel effizient einsetzen.
In einem komplexen IT-Projekt werden dem Modell folgend Vergabeberatung, Vertragsberatung, Anforderungsmanagement und Testmanagement sowie Projektmanagementberatung und Controlling nicht separat eingekauft, sondern sinnvoll modularisiert von spezialisierten Dienstleistern bezogen. So können beispielsweise Anforderungs- und Testmanagement geclustert und aus einer Hand bezogen werden. Der spezialisierte Dienstleister kann aus den Anforderungen direkt Testfälle ableiten und muss diese nicht aufwändig an einen Dritten übergeben. Ebenso können Projektmanagement und Projektcontrolling aufgrund der methodischen Artverwandtschaft gekoppelt werden. Dadurch reduzieren sich Schnittstellen, gleichzeitig lassen sich artverwandte Dienstleistungen bei hoher Qualität von geeigneten Spezialisten beziehen.
Somit profitieren öffentliche Auftraggeber von externer Expertise, begeben sich jedoch ggf. in ein Abhängigkeitsverhältnis, wenn das Wissen nicht über geeignete Formate in die Auftraggeber-Organisation übertragen wird – vor allem, wenn der Dienstleister irgendwann ausscheidet. Die notwendigen Kompetenzen fehlen ggf. dauerhaft und die „Fertigungstiefe“ in der Behörde wird reduziert. Abhilfe schaffen hier Wissenstransfer-Formate wie zum Beispiel Coaching, Dokumentation und Lessons Learned etc. Die modulare Beschaffung steigert zudem die Komplexität der fachlichen und kaufmännischen Beschaffungsvorgänge (gegenüber der Einzelquellenbeschaffung). Insofern ist es ratsam, dem Effizienzgewinn bei der Leistungsbereitstellung den erhöhten (Steuerungs-)Aufwand bei der Beschaffung und Umsetzung gegenüberzustellen.
Soll der Steuerungsaufwand weiter reduziert werden, kann ein Generalunternehmer als Klammer für die notwendigen Bedarfsfälle ausgeschrieben und beauftragt werden. Für den Auftraggeber ergeben sich somit die Vorteile aus dem singulären Vertrags- und Kommunikationsverhältnis und der Auslagerung der Koordinations- und Modularisierungsleistungen an den Generalunternehmer. Die Bereitschaft, auf einen Teil der Durchgriffskontrolle auf die Subunternehmer zu verzichten, sollte der Auftraggeber dann jedoch mitbringen. Voraussetzungen für den Erfolg der modularen Beschaffung sind entsprechend stringent formulierte Ausschreibungen oder ein Pool geeigneter Rahmenverträge, aus dem sich katalogartig die gewünschten Leistungen modular kommissionieren lassen.
Download - Vor- und Nachteile - Bezugsstrategien
Sowohl bei Single-Vendor wie auch bei Multi-Vendor Modellen kann ein klassisches, agiles oder auch hybrides Projektmanagement bei der Projektsteuerung von Dienstleistern angewendet werden. Der folgende Artikel geht auf die verschiedenen Vorgehensmodelle ein.